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Die Wunsche der Liberalen

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Die Trauerreden am Grabe in Matelica waren noch nicht verklungen, als in Rom bereits Reden ganz anderer Art geführt wurden. In der Befürchtung, daß ein Spätstart den Ausgang des bevorstehenden Wettlaufs kompromittieren könnte, haben die verschiedenen Gruppen und Konventikel eiligst ihre Wünsche bekanntgegeben. In offizieller Weise geschah dies zunächst von Seiten der Liberalen, durch eine Interpellation an den Ministerpräsidenten, „um zu erfahren, auf Grund welcher Gesichtspunkte der neue Präsident des E. N. I. ausgewählt würde und welches die Direktiven der Regierung sein werden, denen er zu folgen haben werde“. Was die Liberalen von der neuen Führung verlangen, ist ungefähr das Gegenteil dessen, was Mattei getan hat. Vor allem wünschen sie „die für die Erdgaskonsumenten günstigsten Bedingungen, ohne die gegenwärtigen Diskriminierungen“: Mattei hatte da Erdgas so teuer wie möglich verkauft, bildete es doch seine finanzielle Grundlage, und auch das nur an jene Industriellen, die ihm nicht in die Quere kamen. Die Liberalen fordern „eine wirtschaftliche Betriebsführung und loyale Konkurrenz gegenüber der

Privatindustrie in Italien und in der EWG“. Damit würde eine Reihe der Unternehmen Matteis ihre Daseinsberechtigung verlieren und abgebaut werden müssen, denn die Wirtschaftlichkeit war nicht einziger Grundsatz des E. N. I. gewesen.

Um sich für die Zukunft die Gefahr jeder weiteren Expansion vom Halse zu schaffen, wollen die Liberalen, daß „die gesamten Einnahmen, die dem Staate laut Gesetz zustehen, in seine Kassen fließen und nicht für eine indiskriminierte Ausbreitung in Italien und im Ausland verwendet werden“. Die Anhäufung eines Fonds, der praktisch unkontrolliert war und auch nicht kontrolliert werden konnte, hat nach Meinung der Liberalen zu einer unverantwortlichen politischen Machtstellung Matteis geführt, die in Zukunft unbedingt vermieden werden müsse. Dieser politischen Position habe die stark defizitäre Herausgabe einer politischen Tageszeitung mit öffentlichen Mitteln („II Giorno“ in Mailand) gedient, die gelenkte Vergebung von Inseratenaufträgen, die Schaffung von „Studienzentren“, deren Personal nach rein politischen Rücksichten ausgewählt worden sei. Die Wünsche der Liberalen kommen, wie man sieht, einer Anklage gegen die bisherige Geschäftsführung gleich, ihre Erfüllung würde bedeuten, daß der Holding, dessen Tochtergesellschaften nicht alle autonom lebensfähig sind, zerbrochen würde. Sie würde aber auch mit sich bringen, daß jene Stellen, die bislang aus der Unkontrolliertheit der E.-N.-I.Bilanz ihren Nutzen gezogen und Subventionen erhalten hatten, in Hinkunft auf diese Geldquelle verzichten müßten. Auch in der Vergangenheit sind massive Anklagen gegen Enrico Mattei erhoben worden, ohne daß dessen Position jemals ernsthaft gefährdet war. Und als ein vorgesetzter Minister, Ferrari-Aggradi, Miene machte, die Geschäftsführung des E. N. I. etwas näher in Augenschein zu nehmen, da war es der Minister, der den Hut nehmen mußte und nicht Mattei.

Die Forderung der liberalen Partei, heute in der Opposition, daß der E. N. I. in seine verschiedenen Sektoren aufgeteilt werden müsse, von denen jeder volle Autonomie und Verantwortlichkeit besitzen soll, jene andere, daß „eine strenge Scheidung zwischen politischer und wirtschaftlicher Instanz getroffen werden müsse“, wird aller Voraussicht nach auf den entschlossenen Widerstand anderer Parteien und Kräftegruppen stoßen. Die Bruchlinie der Verschiedenheit von Interessen und Meinungen geht dabei mitten durch die Parteien. Die mächtige Zentrumgruppe der Democrazia Cristiana, die sogenannten „Doro-theer“, wäre einer Redimensionierung des E. N. I. gar nicht so abgeneigt, denn sie fürchtet, und mit Recht, daß der mächtige Staatsbetrieb ein Werkzeug der Linken werden könnte, mit dem sie ihren Einfluß auf die italienische Politik ausüben werde. Auch der rechte Flügel der Sozialdemokraten, von den gleichen Bedenken beherrscht, schlägt vor, den „unerlaubten und negativen Einfluß, den der E. N. I. zu oft in der italienischen politischen Welt ausgeübt hat, oft über die berufenen Verwalter der öffentlichen Sache sich hinwegsetzend“, einzudämmen. In dem Chor schlägt ein typischer Exponent der wirtschaftlichen Rechten, der christlichdemokratische Exminister Togni, seltsamerweise Lobeshymnen auf den E. N. I. an: aber Togni hat seine Kandidatur auf den Posten Matteis gestellt.

Der entgegengesetzten Meinung ist der linke Flügel der Djranocrazia Cristiana: „Die These von der Dezentralisierung des E. N. L, von der Zerstückelung und Aufteilung der Gruppe, entbehrt in den zuständigen Kreisen jeder Grundlage. Die Nachfolge Matteis ist noch nicht diskutiert worden, und jeder Hinweis erscheint daher als verfrüht“, schreibt die dem Parteisekretariat der DC nahestehende Agentur „Italia“. Die „zuständigen Kreise“ sind der aus dem E.-N.-I.-Betrieb AGIP hervorgegangene und als „Mann Matteis“ betrachtete Minister für Staatsbeteiligungen, Bo, und der Parteisekretär Moro. Für die Aufrechterhaltung des E. N. I. in seinen gegenwärtigen Strukturen ist auch der linke Flügel der Sozialdemokraten: „Der E. N. I. ist ein Damm, den man verteidigen und verstärken muß“, meint das betreffende Presseorgan, „ein Nachgeben des Dammes, eine Zerteilung oder Demobilisierung, vielleicht unter dem Vorwand, den E. N. I. beweglicher und anpassungsfähiger zu machen, würde ein so folgenschwerer Irrtum sein, daß er der gegenwärtigen parlamentarischen Mehrheit kaum verziehen würde.“ Auf der gleichen Ebene befinden sich die Kommunisten, deren Blatt, „Paese-Sera“, behauptet, daß „das erste Problem darin besteht, die von Mattei bekräftigte Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten“. Und: „Ein Einlenken des E. N. I. in die nachgiebige Linie der anderen vom Staat kontrollierten Betriebe würde zur Rückkehr Italiens unter die Botmäßigkeit der Interessen des Weltkartells der Petroleumgesellschaften führen.“

Inzwischen wurde von der Regierung der 72 Jahre alte Professor für Wirtschaftswissenschaften und Vizepräsident der E. N. L, Marcello B o 1-d r i r i, bestellt.

Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Nachfolger Matteis erklärte Bol-drini, daß er die energische Linie seines Vorgängers fortzusetzen gedenke.

„Ich pflegte Mattei Bulldozer zu nennen, weil er so unbeirrbar und energisch an die Verwirklichung seiner Projekte schritt. Wir müssen versuchen, es ihm nachzutun und ihm die Treue zu halten.“

Um das Erbe Matteis wird es auf lange Sicht gewiß noch Kämpfe geben — und keine geringen.

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