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Frankreichs Wunderwaffe

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Seit Anfang Dezember fließt das Erdöl der Sahära von der wichtigsten Zapfstelle H a s s i -Messaud in einer Pipeline bis zum Mittelmeer. Mehr als 13.000 Tonnen Rohöl können täglich diesen Weg nehmen. Das ist ein großer Vorzug gegenüber dem bisherigen Transport, der größtenteils per Eisenbahn vor sich ging. Die Einweihung der Pipeline ist denn auch von Premierminister Debre persönlich zusammen mit Saharaminister Soustelle und der Muselmanin des Kabinetts, Fräulein Sid Cara, feierlich vorgenommen worden.

Lange vor dieser Zeremonie aber ist das Oel der Sahara schon zu einem zentralen Mythos der heutigen französischen Politik geworden. Es ist die Wunderwaffe der Fünften Republik, die mit diesem Erdölschatz allen wirtschaftlichen Krisen gegenüber gewappnet zu sein glaubt. Und mehr noch: man scheint in diesem Erdöl auch ein Instrument zu sehen, mit dessen Hilfe man sich in die so ersehnte Rolle der europäischen Führungsmacht schwingen kann. Selbst auf den „Francais moyen“, der sich weniger um „grandeur“ kümmert, hat das Saharaöl seine magische Wirkung: ehe der Algerienkrieg die französische Zukunft der Sahara allzusehr in Frage stellte, sah er in den für seine Begriffe viel zu spärlich ausgegebenen Oelpapieren, zu deren Erwerb er vor der Bank gern stundenlang Schlange stand, die zukunftsreichste Anlage für seine Ersparnisse. Die systematischen Gegner der Fünften Republik aber werden nicht müde, das ganze Saharaöl als in seiner Bedeutung furchtbar übertrieben zu bezeichnen. Und natürlich seien auch jene Leute nicht vergessen, die das Gras wachsen hören und den ganzen Algerienkrieg und überhaupt jeden politischen Vorgang im Maghreb für von den internationalen Oeltrusts angezettelt halten.

Man sieht: es hätte einiges politisches Interesse, über das Oel der Sahara klar Bescheid zu wissen. Aber bei wenigen Gegenständen innerhalb der französischen Welt ist es so schwierig wie hier, sich sachlich zu informieren. Angesichts dessen, was politisch auf dem Spiele steht, ist es wohl empfehlenswert, gegen alle offiziell angegebenen Zahlen etwas vorsichtig zu sein. (Was auch für die eingangs genannte Zahl gilt.) Nur eines scheint mit einiger Sicherheit festzustehen: daß das Saharaöl gegenüber dem Mittelostöl in bezug auf Europa den Vorteil der kürzeren Transportwege hat. Aber dieser Vorteil kann natürlich jederzeit politisch wieder zuschanden werden, je nach der Entwicklung des Algerienkrieges. Und zudem hält sich die „Konkurrenz“ das noch wenig erforschte Oel Libyens in Reserve, das näher an der Küste und weniger tief unter der Erdoberfläche gelagert sein soll.

Der politischen Seite des Problems kommt man vielleicht am besten bei, wenn man die Rolle der, angelsächsischen Oeltrusts in der französischen Sahara untersucht. In dieser Frage hat sich einmal mehr gezeigt, daß das gaullistische Regime sich Dinge erlauben kann, die sich die voraufgehenden Regierungschefs Guy Mollet, Bourges-Maunoury, Gaillard nicht erlauben konnten. Gewiß setzte damals schon ein gewisses Einsickern der angloamerikanischen Gesellschaften ins Saharageschäft mit seinen vom französischen Staat kontrollierten Oel-firmen ein. Aber zu mehr als „symbolischen“ Anteilen kam es nicht, und insbesondere Guy Mollet ist das Zeugnis auszustellen, daß er noch mit allen Kräften das französische Monopol zu verteidigen suchte. Jene politischen Wünschelrutengänger, von denen wir bereits sprachen, wollten denn auch wissen, daß damals die angloamerikanischen Firmen in erheblichem Ausmaß begonnen hätten, die unabhängig gewordenen Staaten des Maghreb, Marokko und Tunesien, zu finanzieren, um sich über diese Staaten einen potentiellen Zugang zum Saharaöl zu sicnern.

Nun, unter der Fünften Republik scheint jener Widerstand gegen die angelsächsische Infiltration erstaunlicherweise stark nachgelassen zu haben. Kürzlich hörte man sogar davon, daß eine angloamerikanische Firma einen Anteil von 50 Prozent an einem Unternehmen in der französischen Sahara erworben habe. Das widerspräche der ursprünglich vorgesehenen Regelung, solche Anteile nie die fatalen 49 Prozent übersteigen zu lassen.

Wie ist dieses Verhalten zu deuten, das man sich so wenig mit dem allgemeinen Bild des gaullistischen Regimes zusammenreimen kann? Böswillige Kommentatoren wollten es mit dem Umstand erklären, daß allerhöchste Würdenträger der Fünften Republik, darunter der Präsident des „Conseil Constitutionnel“, des höchsten Gerichtshofes, beruflich und geschäftlich stark mit angelsächsischen Oelfirmen verbunden gewesen seien oder noch sind. Diese Deutung ist wohl abzulehnen, denn am Patriotismus der in Frage kommenden Persönlichkeiten dürfte kaum zu zweifeln sein.

Näher kommt man der Sache wohl, wenn man aufmerksam einen Artikel zur Kenntnis nimmt, der in Nummer 219 der Zeitschrift „Entreprise“ erschienen ist (also einer Zeitschrift, die als Sprachrohr französischer Unternehmerorganisationen gilt). Man liest dort:

„Die Charakteristiken des Saharapetrols entsprechen nicht den Charakteristiken der europäischen Bedürfnisse. Es enthält wenig Schweröl, wenig vor allem von dem Heizöl, dessen die französische Industrie mehr und mehr bedarf. Hingegen ist viel Schwefel (der ja schon in Lacq in Massen gewonnen wird) und Leichtöl darin. Selbst wenn die Produktion der Sahara quantitativ die französischen Bedürfnisse befriedigen könnte, würde sie also den effektiven (sprich qualitativen I) Bedarf nicht decken ... Das Gleichgewicht des Marktes kann nur erhalten werden, indem man die Leichtölprodukte dorthin verkauft, wo starker Bedarf an ihnen vorhanden ist, nämlich gerade nach den USA, und dafür mit Dollar das Heizöl des Mittleren Ostens kauft, dessen Frankreich und die anderen europäischen Länder so bedürftig sind. Dieser technische Imperativ verstärkt die Position der großen Gesellschaften (das heißt der angloamerikanischen!) bei den Verhandlungen.“

Diese Sprache des Unternehmerorgans ist deutlich. Und man versteht, daß dieser Sachverhalt zum mindesten ebenso wichtig ist wie die noch nicht befriedigend beantwortete Frage, ob die Erdöllager der Sahara nun wirklich so reich sind, wie die Offiziellen sagen, oder vielmehr relativ spärlich fließen, wie die Kritiker wissen wollen.

Man kann übrigens beim Saharaöl einmal mehr die der Fünften Republik eigentümliche politische Zweigespaltenheit konstatieren. Der nationalistische Flügel des Regimes, argumentiert mit dem Oel, um das Festhalten am Status quo in Algerien zu verteidigen: wenn einmal Algerien nicht mehr fest in französischer Hand sei, so sei auch das im saharischen Hinterland Algeriens fließende Oel, von dem Frankreichs Zukunft abhänge, gefährdet. Der Technokratenflügel des Regimes hingegen zieht gerade den entgegengesetzten Schluß aus dieser Wichtigkeit des Oeles für Frankreich: sie erfordere eine möglichst rasche Beendigung der Unsicherheit in Algerien, und zwar durch die Zuerkennung der Unabhängigkeit an Algerien. Dieser algerische Staat aber sei dann an dem Oel finanziell zu interessieren — das sei auch der beste Weg, um fruchtbare Beziehungen zwischen Frankreich und dem Maghreb überhaupt aufrechtzuerhalten. (Beide Flügel sagen es natürlich nicht so deutlich . ..) Der Druck der „Technokraten“ wird in dieser Angelegenheit schön deshalb immer dringender, weil ja das günstigere Oel in Libyen droht und man ein Stillehalten der dort grabenden „Standard Oil“. bisher nur mit ihrer Beteiligung in der Sahara erkaufen konnte.

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