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„Mabombe“

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Jedes Schloß, das auf sich hält, hat sein hauseigenes Gespenst. Niemand hat es gesehen, aber jedermann hat von ihm gehört. Es gruselt einem ein bißchen vor ihm, aber man weiß: eines Tages wird es allen sichtbar auftreten und die Dynastie zu neuen Höhen führen. In der Fünften Republik — diesem Palast, den die Franzosen eigens für ihren ungekrönten Monarchen Karl von Gallien errichtet haben — kommt die Rolle des Gespenstes der „französischen Atom bombe“ zu. Oder vielmehr „Mabombe“, wie der trotz aller Verehrung immer noch spottlustige Franzose gern in Analogie zu „Mon- armėe“ sagt.

Allerdings: Jene Kommentatoren haben durchaus recht, die darauf hinweisen, daß bereits die Vierte Republik den Auftrag zur Herstellung von Nuklearwaffen gegeben hat. Aber das geschah aus Erwägungen, die nicht sehr von denen unterschieden sein dürften, welche die Schweiz bewogen hat, auch ihrerseits die Produktion von Atomwaffen vorzubereiten: daß nämlich heutzutage nur derjenige einen potentiellen Angreifer abschrecken könne, der ihn der Gefahr eines nuklearen Gegenschlages, und sei er quantitativ um vieles geringer, aussetze. Der frühere Gaullist Raymond Aron, Professor an der Sorbonne und prominenter Mitarbeiter des „Figaro“, der in der Fünften Republik verzweifelt die Stimme der Vernunft zu markieren sucht, hat denn auch noch vor einer Woche versucht, der kommenden französischen Bombe eine solche „einschränkende“ Theorie auf den Weg zu geben.

Aber gerade damit hat Aron unterstrichen, daß die Bombe der Fünften Republik zwar nicht technisch, aber politisch etwas anderes ist als die der Vierten Republik. Das wurde schon daran deutlich, daß nun, nach de Gaulles Machtantritt, ganz anders „Dampf dahintergesetzt" wurde. Für den General war die Bombe offensichtlich nicht wie für seine Vorgänger ein „Anliegen" unter anderen, sondern, vielmehr ein ganz zentraler Wunsch. Und die tüchtige Equipe der französischen Atomwissenschaftler unter ihrem Hochkommissar Professor Perrin hat denn auch in der Fünften Republik wesentlich höhere Kredite zu ihrer Verfügung als früher.

Hat das die Explosion von „Mabombe“ näher gerückt? Nun — aus begreiflichen Gründen weiß man sachlich recht wenig über sie. Feststeht nur, daß zwar die hauptsächlichen französischen Nukleareinrichtungen über das Mutterland verteilt sind, die Bombe jedoch in der Sahara ausprobiert werden soll.

Eine erste offizielle Stellungnahme wurde zu Beginn dieses Monats provoziert — und. zwar durch den Protest der auf der Konferenz von Monrovia versammelten neun unabhängigen afrikanischen Staaten gegen Atomversuche im schwarzen Erdteil. In dem Kommunique hieß es, daß für die Explosion ein Ort „ungefähr 2750 Kilometer von Monrovia entfernt" ausersehen sei. Und außerdem werde die Bombe so niedrig explodieren, daß sie in den bewohnten Gebieten Afrikas keinerlei Schaden .anrichten könne.

Dann folgten noch zwei Dementis. Das eine bestritt die von englische Blättern behauptete Teilnahme deutscher. Wissenschaftler an den Versuchen; das andere stellte fest, daß die Bombe nicht vor Eisenhowers Besuch in Paris explodieren werde. Das deckt sich mit den Schätzungen der Wissenschaftler, die der Ansicht sind, daß der Atommeiler von Marcoule in Südfrankreich erst gegen Ende des Jahres die nötige Menge von Plutonium hergestellt habe. UnjJ das ist ziemlich alles, was man von „Mabombe“ technisch weiß.

Die politische Funktion der Bombe liegt jedoch klar zutage. Der General de Gaulle mag noch so sehr in seinem ganzen Wesen und Stil Züge des französischen „Grand siede“ tragen —

wo es darauf.ankommt, weiß er durchaus modern zu sein. Das hat er schon in seiner Jugend als Theoretiker des Panzerkrieges bewiesen. Und so ist er denn auch heute der Meinung, daß all sein mit allem Nachdruck angekündigter Anspruch auf eine weltpolitische Führungsrolle Frankreichs in der Luft hängt, solange er nicht das zeitgemäße Souveränitätsattribut — eben die Nuklearwaffe — vorzuweisen hat.

Es sind jedoch in Frankreich selbst schon Zweifel an der Richtigkeit dieser politischen Rechnung aufgestiegen. Erstens einmal scheint es sich bei „Mabombe“ um eine A-Bombe vom Typ Hiroshima zu handeln. Die ist aber beinahe schon zu einer „konventionellen Waffe“ geworden, seit die USA, Rußland und England H-Bomben fabrizieren. Und dann ist ja da der lästige Präzedenzfall England: die Engländer besitzen sogar die H-Bombe und dürfen doch nicht mit Eisenhower und Chruschtschow an einem Tisch sitzen.

Der Amerikaner David Schönbrunn, amtierender Präses der angelsächsischen Presse in Paris, hat in diesen Tagen der französischen Oeffentlichkeit eine'nur notdürftig mit etwas Schokolade versüßte bittere Pille verabreicht. fr wurde vom gaullistischen Blatt „Paris-Presse“ mit anderen amerikanischen Frankreichberichterstattern über die gegenwärtige „französisch-amerikanische Krise“ interviewt und äußerte bei dieser Gelegenheit: „Ihr verwechselt manchmal Größe und Macht mit militärischer Schlagkraft. Ihr könnt lange eure Bombe fabrizieren, ihr köiint machen, was ihr wollt — eure Anstrengungen werden gleichwohl niemals den Anstrengungen Amerikas, Rußlands und Chinas nahekommen. Weder eine noch zwei noch .zehn Atombomben ändern etwas daran. Es ändert nur etwas: die Meinung, die ihr euch von euch selbst macht. Messieurs, ihr seid Opiumraucher und seht der Wirklichkeit nicht ins Gesicht. Ich glaube, daß Frankreich ein großes Land ist. Aber ihr werdet nie eine Großmacht sein — selbst wenn ulan euch die Nukleargeheimnisse auslieferte.“

Mit der Aufforderung zu illusionsloser Nüchternheit hat man jedoch, wie schon ein gewisser Pierre Mendės-France erfahren mußte, beim Franzosen nicht immer Glück. Er sucht dajin gern einen Ausweg in eine Dolchstoßlegende. Und die französischen Atomwissenschaftler eignen sich schon deshalb gut als Sündenböcke, weil sie, wie die Naturwissenschaftler in diesem Lande überhaupt, im Gerüche „linker“ Gesinnung stehen. Haben sie nicht lange von der Fünften Republik schon die verwerfliche Ansicht geäußert, daß die französische Atomwissenschaft ihre Anstrengungen auf die friedliche Ausnützung der Nuklearenergien konzentrieren sollte? Kurzum: es wundert nicht, daß man in der Gerüchtewolke um „Mabombe“ auch auf die Ernster vorgetragene These stößt, sie sei nur wegen „Sabotage“ noch nicht explodiert. Dann wären aber die Saboteure Nr. 1 doch eher jene überlebten Interessengruppen, die auch in der Fünften Republik immer noch Millionensubventionen für längst unfruchtbaA gewordene Wirtschaftszweige abzapfen. Sie sind ja die Hauptschuldigen daran, daß die französische. Wissenschaft mit ihrem hochqualifizierten Stock von Forschern immer noch unglaubliche Mühe hat, die nötigen Subventionen zu bekommen.

Wie dem auch sei — das Gespenst „Mabombe“ geht um. Wird es, wenn es endlich als Pilz über der Sahara sichtbar wird, Frankreich wirklich wieder unter die Herren dieser Welt einreihen?

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