Putin Prigohsin - © Foto: AP / picturedesk.com

Jewgeni Prigoschin: Erst Donnerschlag, dann Stillstand

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Wladimir Putin scheint durch den abstrusen Putschversuch des schillernd-bizarren Söldner-Chefs Jewgeni Prigoschin geschwächt. Das könnte verheerende Folgen haben – vor allem für die Ukraine.

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Wladimir Putin scheint durch den abstrusen Putschversuch des schillernd-bizarren Söldner-Chefs Jewgeni Prigoschin geschwächt. Das könnte verheerende Folgen haben – vor allem für die Ukraine.

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Als „seltsamer, komischer Krieg“ wurde der Zeitraum zwischen der Kriegserklärung Frankreichs und Großbritanniens an Nazi-Deutschland am 3. September 1939 und dem Beginn der West-Offensive der Hitler-Armeen im Mai 1940 bezeichnet. Denn in diesem Zeitraum, während schon unzählige Menschen starben, geschah an der West-Front kaum etwas – dafür später umso Verheerenderes.

Den Vorstoß von Jewgeni Prigoschin, dem schillernd-bizarren Chef der privaten Söldner-Armee Wagner, empfinden viele als ähnlich „seltsam“: Der 24. Juni, ein Samstag, begann mit einem Donnerschlag, mündete in einem relativen Stillstand – und in vielen offenen Fragen. Etwa jenen, was mit den geschätzten 25.000 Wagner-Söldnern geschehen wird, die sich auf Befehl Prigoschins vom Süden Russlands aus in Kolonnen Moskau bis auf 200 Kilometer genähert hatten, bevor ihr Chef „Halt!“ rief. Oder auch, was mit dem nach Belarus exilierten Prigoschin selbst passieren wird, der auf Vermittlung von Aleksander Lukaschenko klein beigegeben hatte. Vor allem aber: Was bedeutet der abstruse Aufstand für Putins Machtposition und den weiteren Kriegsverlauf?

In vielen Kommentaren westlicher Politiker oder Medien ist eine Art hoffnungsfrohe Schadenfreude vernehmbar. „Putins Koch“ habe den russischen Despoten an den Rand des Machtverlusts gebracht, und das mit einer zum großen Teil aus Verbrechern zusammengewürfelten Söldnertruppe, die sich wie ein Staat im (schwachen) russischen Staat aufführen könne, heißt es vielerorts. Doch ein Blick in den Verlauf der Rebellion offenbart auch: Prigoschin stoppte die Fahrt der von ihm befehligten Einheiten, als er nicht die Unterstützung seitens der russischen Armee erhielt, mit der er gerechnet hatte. So ließ Putin laut einer Analyse des US-amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (IWS) den Chef seiner Präsidentenkanzlei Anton Wajno und den weißrussischen Präsidenten einen Kompromiss mit Prigoschin aushandeln. Dieser durfte nach Weißrussland gehen und würde nicht, wie zunächst angekündigt, wegen Landesverrats verfolgt. Und Prigoschins Truppen, so Putin später, hätten die Wahl: entweder sie würden sich der regulären russischen Armee anschließen oder müssten ebenfalls nach Weißrussland. Prigoschin war wohl in der Tat am vergangenen Dienstag nach Weißrussland gelangt. Diesen Schachzug kann man durchaus als Schwäche Putins auslegen – schließlich ließ der Kreml-Chef einen „Verräter“, wie er Prigoschin noch am Samstag bezeichnete, straflos dahinziehen. Doch die Volte kann auch anders gedeutet werden: Es starben zwar wohl 13 russische Soldaten, die zwischenzeitlich versucht hatten, die Wagner-Kolonnen aus der Luft zu stoppen – doch die Eskalation wurde verhindert, Prigoschin scheint neutralisiert.

„Teile und herrsche“

Der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler geht davon aus, „dass die Russen Prigoschin über kurz oder lang liquidieren werden“. Ein Teil von Prigoschins Truppen dürfte dem Angebot Putins folgen, nun in die reguläre russische Armee einzutreten – andernfalls droht ihnen (erneut) Gefängnis. Diese seit Monaten geplante Unterstellung der Wagner-Einheiten unter das Kommando von Verteidigungsminister Sergei Schoigu war wohl ohnehin der Auslöser der Prigoschin-Revolte gewesen.

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