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Umworbenes Algerien

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Seitdem sich die Hochkulturen in den Ländern um das Mittelmeer entwickelten, war diese Nahtstelle zwischen dem Abend-und Morgenland ein ständiges Spannungsfeld, in dem sich kulturelle und wirtschaftliche Interessen mit den Aspirationen der jeweiligen Weltmächte überschnitten. Durch das Auftauchen zweier gewaltiger Flotten, der amerikanischen und der sowjetrussischen, den andauernden israelisch-arabischen Konflikt und die Entdeckung riesiger Erdölvorkommen in Algerien und Libyen, haben sich gewisse Gegensätze akzentuiert und aktualisiert. Durch den Verkauf von 110 Mirage-Flugzeugen an die regierende Militärjunta in Libyen, verkündete das Regime Pompidou-Chaban-Delmas eine Art Monroedoktrin für das Mittelmeer. Der jüngste Besuch des marokkanischen Königs Hassan II. in Paris, die Abstimmung französischer und spanischer Interessen, die Geduld, die der Quai d'Orsay gegenüber den griechischen Obersten aufbringt, beweisen, daß im und um das Mittelmeer die Fronten in Bewegung geraten sind und eine Beherrschung des Raumes angestrebt wird.

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Seitdem sich die Hochkulturen in den Ländern um das Mittelmeer entwickelten, war diese Nahtstelle zwischen dem Abend-und Morgenland ein ständiges Spannungsfeld, in dem sich kulturelle und wirtschaftliche Interessen mit den Aspirationen der jeweiligen Weltmächte überschnitten. Durch das Auftauchen zweier gewaltiger Flotten, der amerikanischen und der sowjetrussischen, den andauernden israelisch-arabischen Konflikt und die Entdeckung riesiger Erdölvorkommen in Algerien und Libyen, haben sich gewisse Gegensätze akzentuiert und aktualisiert. Durch den Verkauf von 110 Mirage-Flugzeugen an die regierende Militärjunta in Libyen, verkündete das Regime Pompidou-Chaban-Delmas eine Art Monroedoktrin für das Mittelmeer. Der jüngste Besuch des marokkanischen Königs Hassan II. in Paris, die Abstimmung französischer und spanischer Interessen, die Geduld, die der Quai d'Orsay gegenüber den griechischen Obersten aufbringt, beweisen, daß im und um das Mittelmeer die Fronten in Bewegung geraten sind und eine Beherrschung des Raumes angestrebt wird.

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Wie analysieren die arabischen Staaten, die nicht unmittelbar im Nahostkonflikt verwickelt sind, die weitpolitische Situation im Zusammenhang mit dem Ringen der Supermächte, die dort militärisch-politische Einflußsphären schaffen? Die vier nordafrikanischen Staaten zeigen in ihren innerpolitischen Strukturen deutliche Unterschiede. Während Tunis und Marokko den sogenannten konservativen Staaten zuzuzählen sind, proklamieren Algerien und Libyen eine sozialistische Revolution, wobei „Sozialismus“ nacht sehr klar umrissen ist.

Der algerische Sozialismus

Algerien (wir wollen uns nur auf dieses Land beschränken) weist durchaus pragmatische Züge auf. Es wäre vergeblich, hinter den Worten „Revolution“ und „Sozialismus“ eine Ideologie entdecken zu wollen. Algerien ist kein laizistischer Staat, sondern räumt dem Islam eine beherrschende Rolle im geistig-religiösen Leben der Nation ein. Der nordafrikanische Islam ist statisch und kennt keineswegs die Diskussionen der christlichen, besonders der katholischen Welt. Die heranwachsende Generation betrachtet die Riten und Gesetze ihrer

Religion eher skeptisch. Es handelt sich jedoch um eine bisher noch oberflächliche Gleichgültigkeit gewisser studentischer Kreise, die den Modernismus ihrer Kollegen in Paris, Rom oder Madrid kopieren. Derartige Bestrebungen konnten nicht die Masse der Nation erfassen. Der gegenwärtige Staatschef Oberst Boumidienne, dessen persönliche Lebenshaltung als überaus bescheiden gilt, ist orthodoxer Verfechter des Islams. Der Marxismus wie der Maoismus, die Theorien eines Marcuse haben die politische Führungsgeschichte in keiner Weise infiziert, die in wirtschaftlichen Kategorien denkt und nationalistischen Perspektiven den Vorrang einräumt.

Viele Freier — eine Braut

In unzähligen Diskussionen mit den Spitzenpersönlichkeiten der Verwaltung und der politischen Willensbildung wurde das Bedauern zum Ausdruck gebracht, daß die deutschsprachigen Länder sich zuwenig für die Zukunft dieses Landes interessieren. Obwohl es zwischen der Bundesrepublik und Algier keine diplomatischen Beziehungen gibt, installierten sich doch die namhaften deutschen

Firmen, wie Grundig, Agfa, Bayer, Höchst in Alger.

Die algerische Armee in einer ungefähren Größenordnung von 80.000 Mann wurde fast ausschließlich mit modernstem russischem Material ausgerüstet, aber die sowjetischen Experten konnten sich mit der algerischen Mentalität scheinbar nicht genügend vertraut machen. Dagegen vermochte Bulgarien geschickt Positionen zu gewinnen, die nach einem kurzen Besuch in der Hauptstadt auffallen. In den letzten Monaten tauchten die Sendboten Fidel Castros auf, um eine weltpolitische Einheit der kubanischen mit der algerischen Agrarrevolution zu dokumentieren. Die Kaufkraft der Bevölkerung bewegt sich natürlich in bescheidenen Grenzen. Trotzdem wurde die strukturelle Armut beseitigt, und der Aufbau einer Industrie, die Modernisierung der Landwirtschaft dürften durch den eben fertiggestellten Vierjahresplan entscheidende Impulse empfangen.

Der moderne algerische Staat lehnt ausländische Investierungen heftig ab, wünscht aber den Handelsverkehr mit kleineren europäischen Nationen anzukurbeln. Die Republik Österreich hätte — es wurde dies öfters bestätigt — kulturell wie handelspolitisch in diesem Staate eine Chance, die jedoch in einigen Jahren kaum mehr vorhanden sein dürfte. Vielleicht finden sich doch einige mutige Pioniere, die Phantasie besitzen und über den Radius von München, Zürich und Mailand hinausblickend die Möglichkeiten in einem Entwicklungsland entdecken, in dem trotz aller Gerüchte Toleranz herrscht und bei aller Ungeschicklichkeit der Verwaltungsbehörden kein Fremdenhaß zu bemerken ist. Ist man bereit, gewisse Eigenheiten der Algerier zu akzeptieren, läßt man sich nicht verleiten, zum israelisch-arabischen Konflikt Stellung zu nehmen, trifft der Gast in Algier durchaus sympathische, aufgeschlossene und zum Gespräch bereite Partner.

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