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Politischer Symbolismus

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Welche Bedeutung haben Symbole für die menschliche Gemeinschaft? Der Franzose Emil Dürkheim hat die sogenannte Theorie von der Symbolidentifikation in der Gruppe entwickelt. Wer Angehöriger einer bestimmten politischen Gemeinschaft ist, reagiert in der Regel auf ein Gruppensymbol anders als ein Außenseiter. Die Symbole erweisen sich als die Art und Weise, mittels deren ein Verband zunächst zu einem Verständnis seiner selbst gelangt (Eric Voegelin). Nicht nur Normen des Verhaltens schließen Menschen im Wir zusammen, sondern auch sinnenfällige Gegebenheiten wie Wappen, Fahnen, Hymnen, Embleme usw. In sie werden die Gruppenkräfte und -werte hineinprojiziert, so daß sie als „Symbole“ angesehen werden. In jeder Gemeinschaft entstehen und bestehen auf diese Weise Wir-Gefühle.

Politische Symbole und ihre Typologie

Die Bedeutung des politischen Symbols liegt in seiner Anschaulichkeit. Abstrakte Ideologien werden in der Gestalt von Symbolen auch den Menschen nahegebracht, die sie sonst nicht verstehen würden. Die im Symbol materialisierte, an sich komplizierte Idee ist dem einzelnen zugänglich.

Karl Loewenstein führt als typische Erscheinungsformen des politischen Symbolismus vier Gruppen an:

• Sichtbare Symbole, zum Beispiel die heraldischen Symbole des Adels, wo jedes Bild (Löwen, Adler, Greife, Türme, Blumen, Schlangen) nach Art der Hieroglyphen einen von dieser Gesellschaftsklasse geschätzten Wert darstellt; Farben der legitimen wie der revolutionären Herrschaft; Farbenkombinationen der Nationalflaggen; Orden, Dekorationen, Medaillen usw., die proletarischen Werkzeuge Hammer und Sichel; Krone, Zepter und Reichsapfel der königlichen Majestät; die Waage der Gerechtigkeit.

Symbolisch wertträchtig sind auch Gesten und Bewegungen. Man denke an den sogenannten „deutschen Gruß“ oder die geballte Faust der Kommunisten. Die Sichtbarmachung nationaler politischer Werte drückt sich in der Monumentalisierung von Nationalgestalten und Nationalheroen (Denkmäler) oder in der Versinnbildlichung von national bedeutsamen Ereignissen aus (Straßen-, Brücken-, Plätzenamen). Aus der Änderung von Straßennamen lernt man die Staatsgeschichte oft besser als aus den amtlichen Lehrbüchern.

Einparteienstaaten arbeiten mit der personalistischen Symbolik ihrer jeweiligen Machthaber (Lenin, Ke-mal, Mussolini, Hitler, Stalin, Perön, Franco, Mao), nach dem Motto: Der große Bruder sieht dich an.

• Laut- und Klangsymbole. Hierher gehört die Sprache, die an sich eine symbolische Rationalisierung zum Zweck sozialer Interkom-munikation ist. „Schlag“worte verlebendigen Vorstellungen der abstraktesten Art. Sie haben geradezu magische Wirkung. Loewenstein erinnert an die Formeln „Senatus Populusque Romanus“; „no taxation without representation“; „liberte, egalite, fraternite“. Man denke auch an „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ oder an „Rotweißrot bis in den Tod“. Die Musik gehört ebenfalls hierher, insbesondere die Marschmusik, Lieder, Sprechchöre und Hymnen. Man denke an die Marseillaise, das Horst-Wessel-Lied, die

Internationale.

• Rituelle und zeremonielle Symbolik. Seit jeher gehört zu den wesentlichsten Elementen der Staatssymbolik die organisierte Macht- und Prachtentfaltung des Staatsapparates durch öffentliche Aufzüge und Demonstrationen, bei denen das Volk bewußt zum Zuschauer und Mitspieler gemacht wird. Man denke an die massenpsychologisch aufs feinste organisierten Parteitage des Naziregimes, an l.-Mai-Feiern, an die Feiern des 4. Juli in den USA und die des 14. Juli in Frankreich.

• Gedankliche Abstraktionen als Symbole. Hierher zählt Loewenstein leichtfaßliche Schilagworte aus dem Kampf der Ideologen untereinander, wie „Gesellsehaftsvertrag“, „Fürsten-Souveränität“, „Volkssouveränität“, „Widerstandsrecht“, die „unveräußer-

liehen Menschenrechte“. Man könnte auch auf die Schlagworte „Gewaltentrennung“, „Demokratisierung der Verwaltung“, „Rationalisierung der Macht“, „Gesetzesstaat“, „Verfassungsstaat“, „Richterstaat“ verweisen. All dies sind Chiffren für komplizierte Begriffe.

Loewenstein hebt auch das Nationalbewußtsein hervor, das etwas so Mysteriöses oder Mystisches sei, daß es überhaupt nur in symbolischer Form gefühlt und anschaulich gemacht werden kann. Er verweist auf Nationalflguren und nationale Märtyrer, auf nationale Heiligtümer und Mythen. Für die USA nennt er die Verfassung und den Supreme Court als Nationalsymbole der amerikanischen Freiheitsidee und des American way of life.

Liberale Demokratien und totalitäre Autokratien

Aufklärung und Rationalismus haben kaum die Bedeutung politischer Symbole erkannt. Auch die auf diesem geistigen Nährgrund entstandenen Ideologien wie Liberalismus und Demokratismus legten auf politischen Symbolismus wenig Wert. Dieser bietet dem Kritizismus und Positivismus wenig Reiz, ja er steht im Widerspruch mit einer rationalistisch - relativistisch - skeptischen Grundanschauung. Loewenstein diagnostiziert: Der Verfassungsstaat, sich auf die Normenmäßigkeit seiner politischen Gestaltung verlassend, verachtete die politische Symbolik oder unterschätzte ihren Wert. Was von ihr traditionell erhalten wurde, wie Flaggen, Staatssymbole, Nationalgesänge, verfiel der Stereotypizität, wurde farblos, emotional entleert und volksfremd.

Von allen Staats- und Regierungsformen ist der liberal-demokratische Staat derjenige, der des politischen Symbolismus am ehesten ent-raten zu können glaubte. Er hatte es schwer zu büßen. Totalitär-autoritäre Ideologien erkannten die Ansprechbarkeit, ja Anfälligkeit der Massen für politische Symbole. Sie drangen in die emotionalen Leerräume der improvisierten und provisorischen Demokratien ein und befriedigten die Bedürfnisse der Mas-

sen nach Selbstverständnis und Identität. Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus und auch die sogenannte chinesische Kulturrevolution haben Propaganda mit Symbolik und Terror organisch und organisatorisch verbunden. Sie setzten diese unheilige Trinität systematisch im politischen Machtkampf ein. Kollektive Symbolik löst ungeheure Energien in den Volksmassen aus, die der Auslösende oft nur schwer durch Terror nach innen und Aggression nach außen ablenken und ableiten kann.

v Wenn jedoch die Technik des politischen Symbolismus übersteigert wird, ihre äußere Form nicht mehr der sozialen Wirklichkeit entspricht, entsteht eine Übersättigung der Massen; sie äußert sich schließlich in Gleichgültigkeit. Völker, über die einmal der totalitäre Sturm hinweggegangen ist, sind für politische Symbolik weniger empfänglich. Sie sind gewissermaßen immunisiert. Das dürfte auch bei uns so sein. Dazu kommt, daß die politische Symbolik der demokratischen Staaten „phantasielos, pedantisch, stereotypisiert“ ist. Daraus läßt sich nach Loewenstein zum Teil erklären, daß die Völker der freien Welt keine Begeisterung für ihre Staats- und Gesellschaftsgestaltung zeigen. Der Gebrauch politischer Symbole sei in den Demokratien westlicher Prägung zwar nicht unbekannt, aber über das rein Funktionale hinaus seien sie sich des Wertes der politischen Symbolik kaum bewußt geworden.

Selbstdarstellung eines Kulturstaates

Österreich ist Kulturstaat. Das ist ein Bekenntnis, das besonders auf dem Gebiet der Staatspflege verpflichtet. Die Selbstdarstellung unserer Republik in ihren Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Spitälern, Kasernen und sonstigen öffentlichen Bauwerken, in ihren Anlagen und Denkmälern, Straßen und Brücken, Uniformen und Fahnen, Wappen, Briefmarken und Siegeln, Schul-und Lehrbüchern muß jenen Ideen und Gestaltungskräften entsprechen, zu denen wir uns bekennen. Die Selbstdarstellung unserer Republik darf daher nicht in jenen häßlich-realistischen Formen erfolgen, deren sich so gerne und häufig autoritärtotalitäre Staaten bedienen, um Individualität und Geistigkeit zu konformieren. Daß die Geistigkeit eines Staates, seine innere Verfassung sich gerade in der Gestaltung der sinnenfälligen Wirklichkeit zu bewähren hat, müssen viele unserer Politiker erst lernen.

Nicht nur die äußeren Formen der Staatssymbole im weitesten Sinn, sondern auch die Art und Weise, in der man mit ihnen umgeht, charakterisiert jene Geistigkeit, die in Österreich tatsächlich herrscht. Hier tut Besinnung not: Die Form der Selbstdarstellung des Staates soll höchsten ästhetischen Anforderungen genügen; der Stil, in dem man mit Staatssymbolen umgeht, muß ethischen Anforderungen genügen. Wie allzuoft der bauliche Anstand fehlt, mangelt es am politischen Anstand. Der Staat im ganzen soll Kultur verkörpern.

Unsere Republik muß in ihrer Selbstdarsitellung und in ihrem Stil vor allem die österreichische Idee erfassen, die ihr geistiger Nährboden ist. In dem Maße, in dem unsere Republik diese ihre Bestimmung verwirklicht, ist es gerechtfertigt, Österreich als Kulturstaat zu bezeichnen.

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