Schloss und Schlüssel

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"Der verbotene Blick": Erotisches in der Österreichischen Nationalbibliothek.

In dunkleren Zeiten wurde alles, was dazu angetan war, die Geschlechtsnerven zu reizen, in so genannten Giftschränken weggesperrt. Die Wiener Hofbibliothek benötigte gleich eine ganze Giftkammer, einen kleinen, fensterlosen Raum, um die zahlreichen Klassiker der erotischen Weltliteratur ihrer riesigen Sammlung vor allzu begieriger Leselust zu verstecken. Nur nach einem persönlichen Gespräch mit dem Präfekten, in dem man seine hehren Absichten unter Beweis stellen musste, durfte man Bücher wie John Clelands "Memoiren der Fanny Hill", die Werke des Marquis Donatien Alphonse François de Sade oder die Felix Salten zugeschriebene "Josefine Mutzenbacher" entlehnen. Auch als aus der Hofbibliothek die Österreichische Nationalbibliothek wurde, änderte sich daran nichts: Nur der Generaldirektor hatte den Schlüssel zu der ominösen Kammer und hob die Bücher höchstpersönlich aus. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Praxis beibehalten, erst mit Beginn des Jahres 2002 der Anachronismus endgültig beseitigt.

Einige dieser einst sorgsam gehüteten Werke sind nun in der Ausstellung "Der verbotene Blick. Erotisches aus zwei Jahrtausenden" zu bewundern. In ihrem eindrucksvollen Prunksaal zeigt die Nationalbibliothek rund 360 Objekte, die das "raffinierte Spiel mit dem Begehren" (Konrad Paul Liessmann) spielen. Mit dem publikumswirksamen Ausstellungsthema "Erotik" soll zum einen das etwas elitäre und verstaubte Image der Nationalbibliothek zurechtgerückt werden - "ein Signal größtmöglicher Öffnung" (Generaldirektorin Johanna Rachinger) - zum anderen enthält die Schau eine "geheime Botschaft" (Kurator Anton Knoll): "Der verbotene Blick" ist auch eine Leistungsschau der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), die immerhin zu den fünf wichtigsten Bibliotheken der Welt zählt. Jede der zehn Sondersammlungen sowie die moderne Bibliothek der ÖNB (modern heißt: ab 1851) hat zur Ausstellung beigetragen, sogar die Kartensammlung und die Sammlung für Plansprachen: erstere mit utopischen Landkarten des "Landes der Liebe", zweitere mit erotischer Lyrik in Esperanto.

Erotische Darstellungen gibt es, seit der Mensch sich Bilder schuf. Das belegt eine Nachbildung der Venus von Willendorf (um 25.000 v. Chr.). Zu den ältesten in der ÖNB gezeigten Originalen gehört ein Papyrus aus dem 3. oder 4. Jahrhundert, das eine nackte Frau, möglicherweise eine Schauspielerin, zeigt und ein arabisches Papyrus aus dem 9./10. Jahrhundert, auf dem ein kopulierendes Paar zu sehen ist. In mittelalterlichen Handschriften bot die Darstellung von Adam und Eva sowie die Warnung vor dem Laster genügend Möglichkeiten für erotische Illustrationen. Zu sehen ist auch eine prächtige Ausgabe von Boccaccios "Decamerone" aus dem 15. Jahrhundert: Was der erotische Renaissanceklassiker verschweigt - "sie lagen miteinander" ist schon der Gipfel der Erotik -wird in den Illustrationen verdeutlicht.

Auch das Archiv des österreichischen Volksliedwerkes hat einiges an musikalischer Erotik zu bieten, etwa ein "Schlosserlied", das man dem furche-Leser nicht vorenthalten darf:

Einst fragte mich ein junges Weib/Was ich wohl für ein Handwerk treib/Ich sagte aber geradehin/Dass ich ein schwarzer Schlosser bin/Sie zeigte mir da gleich ein Schloss/War hübsch und fein, doch nicht zu groß/Ich zog sogleich mein' Schlüssel heraus/Das Schlösschen sprang von selber auf/Sie fragte mich, ob die Maschin/Ich aufzusperren imstande bin/Sie sagt, ich sollt mich nicht shiniern/Und sollt es auf der Stell' probiern/Ich machte mich gleich drüber her/Im Anfang fiel's abscheulich schwer/Ich goss ein wenig Öl darauf/Das Schlösschen sprang von selber auf.

Ein weitere Schwerpunkt der Ausstellung sind Fotografien und Werbeplakate. Das mondäne Flair der frühen dreißiger Jahre versprühen mehr oder weniger erotische Porträts von Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich (aus dem Atelier von Dora Kallmus alias Madame D'Ora) oder der vergessenen Elfe Gerhardt (Atelier Manassé), die sich zum Erstaunen der Ausstellungsmacher meldete, als sie in einer Zeitung ihr kühnes Jugendbild entdeckte. Nicht nur weibliche Nacktheit wird ins Bild gerückt: Zu sehen sind auch Fotos nackter Jünglinge in der Nachfolge des Fotografen Wilhelm von Gloeden. Klassische Plakate von Henri Toulouse-Lautrec und Alphonse Mucha fehlen ebensowenig wie Film- und Werbeplakate, die mit verführerischen Frauengestalten locken.

Ganz im Sinn der Imagepolitur kommt die jüngere Vergangenheit nicht zu kurz: So ist das legendäre, von Andy Warhol gestaltete Cover der Rolling Stones-Platte "Sticky Fingers" (1971) ausgestellt, auf dem man den Reißverschluss von Mick Jaggers hautengen Jeans öffnen kann, sowie ein eher bizarrer Fund: Ein Liebesgedicht von Erich Fried, mit dem ein Herrenmagazin 1984 die Pin-Up-Fotos einer "Motorrad-Sally" auffrisierte.

Auch so manche Pikanterie im nicht-erotischen Sinn ist in der Ausstellung zu entdecken: So versah die Frauenrechtlerin Rosa Mayreder ihren Essayband "Zur Kritik der Weiblichkeit" (1905-22) mit der Widmung: "Meinem lieben Manne zugeeignet". Die Erstausgabe von Goethes "Leiden des jungen Werther" erinnert daran, dass der Roman ursprünglich anonym erscheinen musste. Obwohl verboten, landete er nicht in der Giftkammer. Die wurde übrigens erst Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt, davor befanden sich die erotischen Werke im Büro des Präfekten - wo nur die Zimelien, die besonders wertvollen Stücke der Bibliothek aufbewahrt wurden.

Bis 31. Oktober

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, zu dem der Autor dieses Beitrages das Kapitel "Erotik und Obszönität" verfasst hat.

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