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Wieder einmal Kulturalarm!

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DER AUTOR ALEXANDER KING, gebürtiger Wiener, seit Jahrzehnten in den USA heimisch, wo er mit gescheiten Causerien bestsellert, schreibt in einem seiner autobiographischen Bücher über einen Ausflug nach Deutsch-Altenburg. Zeit der Begebenheiten: so ums Kaiserjubiläumsjahr 1908 herum. Auf einem Hügel mit weitem Ausblick in die Donaulandschaft entdeckt Alex eine ganz sonderbare Erscheinung: einen Mann, der vor seiner Staffelei sitzt und malt. Der Fremde ist dem kleinen Buben nicht ganz geheuer: klobiges Gesicht, wildwuchernder Bart, massiger Körper, kräftige Hände, die Pinsel und Palette führen. Das seltsamste aber: in Respektabstand gar ein Diener, der den Picknickkorb griffbereit hält und den ungeschlachten Bärtigen ehrerbietig mit „Euer Gnaden“ anredet! Erst später erfuhr King, daß er dort in Deutsch-Altenburg einer Wiener Berühmtheit begegnet war: dem Maler Carl Leopold Hollitzer.

„EIN ERZBOHEMIEN!“ sagt man, wenn heute der Name Hollitzer fällt und läßt das Wort mit leicht snobistischer Genüßlichkeit auf der Zunge zergehen. Ein Bohemien, der sichs leisten konnte, in feudalem Stil außerhalb der Konventionen zu leben, mit einem hohen Konto guter Friedenskronen, einer noblen ererbten Villa im Heimatort Deutsch-Altenburg und einem großen Stadtatelier in Wien. Ein Mann, der in genialisch verschlampter Aufmachung ä la Rodin herumging und dabei ausgeprägten Sinn für das strenge Erscheinungsbild historischer Uniformen mit all ihren Details besaß. Ein Kaisertreuer, der sich bei der Gestaltung des Jubiläumsfestzuges von 1908 hervortrat, in Reminiszenzen an Prinz Eugen, Erzherzog Karl und Radetzky schwelgte und als Rezitator von der Rampe des Künstlerkabaretts „Die Fledermaus“ herab die drohend aufbegehrenden Verse von Richard Dehmels revolutionärem Gedicht „Der Arbeitsmann“ ins Publikum schleuderte. Eine Persönlichkeit, voll von Widersprüchen, wie die Zeit, in der er lebte.

ANFANG DER VIERZIGER JAHRE

ist er gestorben. Lang nicht mehr so reich wie ehedem. Die Deutsch-Altenburger Villa war ihm geblieben und ging an seine Erbin über, zusammen mit dem künstlerischen Nachlaß. Nach dem Krieg holte man diesen Blatt für Blatt aus Mappen und Schränken. Die Neuentdeckung Hollitzers begann privatim. Dutzende Karikaturen aus dem Freundes- und Feinde9kreis sind mittlerweile zu schlaglichtscharfen Kulturdokumenten aus dem Wien der zehner, zwanziger und dreißiger Jahre geworden. Hollitzer erscheint hier gewissermaßen als ein österreichisches Pendant zu Max Beerbohm, dem Karikaturisten der späten Londoner Dandy-Epoche.

Figurinen für Hans Sassmanns „Metternich-Trilogie“, Werfeis „Jua-rez und Maximilian“ und Hauptmanns „Florian Geyer“ weisen auf Hollitzers kenntnisreiche Vorliebe für die Uniform und das Kostüm. Schließlich gehörte er, der ehemalige Husaren-Einjährige, zusammen mit seinem Lehrer Felician von Myrbach und seinen Zeitgenossen Alexander Pock. Karl Alexander Wilke und Fritz Schönpflug zur letzten Generation österreichischer Militärmaler. 1917 entwarf er sogar über offiziellen Auftrag Uniformen für die k. u. k. Armee der Nachkriegszeit in Khaki, mit farbigen Hosenstreifen und eigenartigen Helmen...

Seltener als Zeichnungen oder Aquarelle nahm der in Wahrheit enorm fleißige Bohemien Ölbilder in Angriff, pastos und skizzenhaft malte er napoleonische Kürassiere und östliche Landschaften, die etwas von Licht und Stimmung der Ungarnbilder Pettenkofens haben. Bei einer raffiniert komponierten Parkszene aber floß dem schweren Mann gallischer Esprit in den Pinsel. Kein Wunder. Der Bois des Boulogne und der Jardin du Luxembourg waren ihm fast ebenso vertraut wie der Stadtpark und der Volksgarten.

DIE OFFIZIELLE WIEDERENTDECKUNG Carl Leopold Hollitzers erreichte im Juni 1958 ihren Höhepunkt. In der Villa, richtete die Niederösterreichische Landesregierung ein Hollitzer-Museum ein, eine „bleibende und allgemein zugängliche“ Schau, laut amtlicher Formulierung. Das klingt fast an die altösterreichische Devise „Für immerwährende Zeiten“ an. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Vor kurzem gab es wieder einmal Kulturalarm. Der nunmehrige Erbe und Nachlaßverwalter, Hollitzers Adop-tivenkel Anton Hathorn, verfrachtete Wiener Pressevertreter in einen VW-Bus und zwei Privatautos, fuhr mit ihnen nach Deutsch-Altenburg und eröffnete ihnen unter strahlenden Kristallustern düstere Aussichten für die — noch — geschlossen vorhandene Sammlung.

Auf der Villa liegt eine große, bereits fällige Hypothek. Das Land Niederösterreich würde wohl die Graphiken und Bilder erwerben — „Um 125.000 Schilling, das ergäbe pro Blatt einen Preis von 400 Schilling!“ kalkulierte Hathorn und verweist auf die Preise des modernen Kunsthandels — aber an dem Millionärslandhaus aus der Ringstraßenzeit ist man in der Herrengasse desinteressiert.

Es gäbe wohl offizielle und private Käufer, die sich aus der Reihe von Karikaturen und den Figurinen-Folgen einige „Zuckerln“ aussuchen würden, aber durch solche Abverkäufe würde die ganze Sammlung, deren besonderer Wert als kulturhistorische Dokumentation in ihrem inneren und thematischen Zusammenhang liegt, zerrissen, würde in alle Winde zerflattern. Wir alle müßten einen Aktivposten von unserem Kulturkonto streichen. Es gibt eben auch so etwas wie eine geistige Spitzhacke und sie ist nicht weniger gefährlich als jene reale, die sich in barockes Gemäuer frißt

DIE LANDESREGIERUNG nahm Herrn Hathorns Extratour mit den Journalisten wohl zur Kenntnis, schwieg sich aber beharrlich aus, vielleicht desinteressiert, vielleicht verärgert, jedenfalls resultatlos. Im Historischen Museum der Stadt Wien, wo man prinzipiell an Zeugnissen der Epoche von Karl Kraus, Peter Altenberg und Adolf Loos sehr interessiert ist, wies man bedauernd darauf hin, daß die vorhandenen Mittel die Erwerbung einer geschlossenen Einzelsammlung dieses Ausmaßes nicht erlauben.

Dafür meldeten sich nach den ersten Presseberichten über den drohenden Zerfall des Hollitzer-Nachlasses allerlei Geschäfte- und Projektemacher bei Herrn Hathorn und entwickelten ihm kühne Pläne für günstigen Verkauf der Werke. Gegen Beteiligung, versteht sich. Einer dieser ungebetenen Proponen-ten verfiel sogar auf die Idee, man solle die Hollitzer-Karikaturen an die Wände eines Kaffeehauses hängen und dieses Lokal taxfrei in den Rang eines Literatencafes erheben. Daß Literatur leichter zu demolieren als zu konstruieren ist, bedachte der Eifrige dabei freilich nicht.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf“, sagt Anton Hathorn in einem Atemzug. Ein pessimistischer Optimist. Oder umgekehrt. Jedenfalls ein Mann, der sich bemüht, im „Alleingang“ etwas zu retten, was „amtli-cherseits“ offenbar schon aufgegeben und stillschweigend dem internationalen Kunsthandel überantwortet ist, wo es, weiß Gott wohin, verschwinden würde. Hollitzers Kostümfigurinen will er den Theatersammlung der Nationalbibliothek anbieten, um wenigstens diese Gruppe der Bestände geschlossen zu retten.

Über der Parkmauer der Villa in Deutsch-Altenburg erhebt sich eine große Tafel mit der Aufschrift „Carl-Leopold-Hollitzer-M'Useum“. Wie lange noch? Die Plakate neben dem Eingang sind zerrissen und verwittert. Sie wirken als beziehungsreiche Decoilagen...

Im Fall dieses Kapitels österreichischer Kulturgeschichte ist die Lage fast hoffnungslos und — entgegen dem bekannten österreichischen Diktum — außerdem sehr ernst.

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