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Allianz der Wertbrüchler
Wie Irrlichter huschen derzeit mehr oder minder neue Devisen über den Sumpf der Tagespolitik: „Politik braucht Visionen und Perspektiven", „Politik und Lebensgefühl sind zu vereinigen", „Mehr Schönheit in die Politik" usw.
Die großen politischen Parteien ebenso wie Bewegungen und Gruppierungen außerhalb der Parteien überbieten sich mit Konzepten, Manifesten und Projekten für die Zukunft und versuchen, ihre oft sehr gegenwärtigen und wenig zukunftsträchtigen
Anliegen möglichst originell und phantasievoll zu präsentieren.
Gelegentlich vergreift man sich auch. Und vor lauter krampfhafter Suche nach Neuem taucht dann so manche politische Ausdrucksform auf, die an unselige Vorläufer erinnert (so passiert beim „Hainburger Schwur").
Politiker, deren Gehaben und Physiognomie von jahrelangem Pragmatismus und der Sublimie-rung emotionaler und kreativer Bedürfnisse geprägt sind, stehen plötzlich auf und verkünden mit steinernem Gesicht und im Nadelstreif mit korrekt sitzender Krawatte: „Politik braucht Phantasie - damit wir die Zukunft in
den Griff bekommen".
Wie dürfen wir das verstehen? Als Gag - für die „Beifallsgesellschaft und ihre Medien" (Gerd Bacher)? Als hilflosen Versuch, jene Zuschauer, die die politische Arena enttäuscht verlassen und das Eintrittsgeld zurückfordern, wieder zur Rückkehr zu bewegen? Oder aber als ernsthaft empfundenes Unbehagen, daß es so wie es ist, nicht weitergehen kann?
Nehmen wir der Konstruktivi-tät halber das letztere an und entschuldigen wir den schlagwortartigen Charakter der neuen Devisen damit, daß man ja schon froh sein muß, daß sich dieses Unbehagen, an dem weite Teile insbesondere der jüngeren Bevölkerung leiden, sich bis zu den etablierten Politikern fortgepflanzt hat.
Führen wir verbale und nonverbale Widersprüchlichkeiten auf eine so leicht nicht abstreif bare „realpolitische" Vergangenheit zurück — auch das Sich-Darstel-len als „Wertbrüchler" oder „Paradigmenwechsler" oder zumindest als deren Sympathisant will gelernt sein...
Nehmen wir sie daher beim Wort, jene, die sich selbst mehr Phantasie verordnen. Ein Erfolg
dieser Therapie wäre jedenfalls bitter notwendig.
Bei aller Ungewißheit über das, was kommen wird, um eines zu sehen, braucht man allerdings wenig Phantasie: Schreiben wir die gegenwärtige technische, wirtschaftliche, ökologische und politische Entwicklung in die Zukunft fort, haben wir sie schon verspielt.
Wir dürfen nicht darauf vertrauen, daß die Befürworter eines ungehemmten technischen und wirtschaftlichen Fortschritts und die Apologeten der Beton- und Hochrüstungsphilosophie keine Phantasie besitzen und deshalb nicht alles so schrecklich wird.
Ihr spezifischer Einfallsreichtum wird nicht ruhen, ehe nicht die letzte menschliche Regung überwacht, kontrolliert und kommerzialisiert ist, alle Rohstoffe ausgebeutet und alle Energiereserven genützt sind, solange noch irgendwo ein paar besonders hartnäckige Pflanzen die Ästhetik der Betonlandschaft stören und noch nicht jede Nation vor Atomwaffen starrt.
Um die „Trampelpfade aus diesen Gefahren" (Erhard Eppler) zu finden, bedarf es einer Allianz der Phantasie aller jener, denen die Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Gesellschaft noch immer nicht abhanden gekommen ist, aber auch derer, die die gegenwärtigen Zustände für im Großen und Ganzen als die bestmöglichen
halten.
Selbst zur Verteidigung des Bestehenden ist ein Vorgriff auf die Zukunft nötig. Wollen wir z. B. zumindest unseren jetzigen Standard an Demokratie halten, müssen wir in Anbetracht der drohenden Uberwachungsmöglichkeiten prophylaktisch die demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten in Richtung einer sozialen Demokratie ausbauen.
Erst dann besteht die Chance, den neuen Techniken eine „soziale Utopie abzupressen" (Peter Glotz), die es vielleicht ermöglicht, daß eines Tages den Menschen alle schwere Arbeit abgenommen wird, daß nur wenige Stunden an Erwerbsarbeit notwendig sind und allen Menschen ein Basiseinkommen gesichert werden kann.
Diese Möglichkeiten — aber auch die Aussicht auf eine prinzipielle Versöhnbarkeit von Ökonomie und Ökologie sollten genügend faszinieren, um die nötige Phantasie aufzubringen, sie auch zu verwirklichen.
Die Autorin ist Universitätsassistentin am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck und Bundes Vorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ.
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