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Boten Gottes aus Chumein und aus Rom

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Im Iran herrscht der „Gesandte Gottes“ aus Chumein. Die ersten Diebe sind ausgepeitscht, bald wird man abgehackte Gliedmaßen auf La-ternenpföhlen baumeln sehen und das Schreien junger Menschen hören, die für öffentliches Küssen öffentlich gezüchtigt werden. Und wir kommen uns gut dabei vor: Seht, wie sie ins Mittelalter zurückfallen!

Ein Stichwort, das freilich nicht gerade gewissensentlastend wirkt. Hat nicht auch das in „unserem“ Mittelalter verfolgte Prinzip, daß Religion und Staat voneinander nicht zu trennen seien, von der Inquisition bis zu den Kreuzzügen nicht eben glorreiche Konsequenzen hervorgebracht?

Allenthalben bangte man dieser Tage dem Augenblick entgegen, da der Ajatullah Chumeini den ,>Heili-gen Krieg“ ausrufen und damit jedem darin Gefallenen den Blitzeinzug in den Himmel garantieren würde. Aber auch bei Jacob Burghardt kann man nachlesen, daß während der Kirchenverfolgung unter Kaiser Konstantin viele Christen ungestüm zum Martyrium drängten, weil ihnen dieses einen sofortigen Eingang ins Himmelreich sichern würde, so daß ihre geistlichen Oberen zur Zurückhaltung mahnen mußten.

Genug der Reminiszenzen. Die Gegenwart ist düster genug. Chumeinis fanatisierte Massen haben auch ohne Heiligen Krieg das Land erobert, und genügend schuldloseMenschenmuß-ten dafür schon ihr Leben lassen.

Der leidenschaftliche Einbruch des Irrationalen hat die ganze arabische Welt erfaßt. Schon ist das koranische Rechtssystem in Libyen, Kuweit, Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingeführt; Ägypten, der Sudan und Malaysia sind auf dem Weg dazu. Schon sind islamische Fundamentalisten dabei, die Brandfackel unter die ölarbeiter Saudi-Arabiens zu werfen.

Es gärt in Ägypten. Es brodelt in der Türkei. Was wird demnächst in Afrika geschehen, wo der Islam in zum Teil spektakulären Bekehrungserfolgen die Mehrheit der Bewohner von Niger, Mali und Tschad und fast schon die Hälfte des volksreichsten schwarzafrikanischen Staates, Nigeria, auf seine Seite gezogen hat?

Sicher ist die neu entfachte religiöse Leidenschaft, die politisch völlig unterschiedlich orientierte Persönlichkeiten überrollt, nicht zuletzt ein kulturgeschichtliches Phänomen: Bisher geringgeachtete Völker der Dritten Welt entdecken den Islam als Element der Einigung, Selbstfin-dung und Identitätsgewinnung.

Um so weniger ist „christliche“ oder „westliche“ Selbstgefälligkeit am Platz. Aber eine Feststellung muß erlaubt sein: Der Papst, der in Lateinamerika der unblutigen Systemveränderung, der gewaltlosen Befreiung des ganzen Menschen das Wort redete, muß uns aus vielerlei Gründen ein sympathischerer „Bote Gottes“ als ein geifernder religiöser Fanatiker sein.

Und wem ein bißchen Flirt mit der Gewalt in Lateinamerika durchaus christlich motivierbar scheint, der möge am Beispiel der islamischen Welt beurteilen, ob einer, der im Namen der Gerechtigkeit die Geister der Gewalt beschwört, sie ohne Massenblutbad und Chaos wieder los wird.

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