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Britischer Abwind

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Die britischen Parlamentarier sind in den Ferien. Mehr als sonst fühlten sich viele von ihnen heuer urlaubsreif. 72 Vorlagen wurden erledigt. Mit Pensionen an Unversorgte über 80, Pflegezuschüssen an Schwerinvalide, Beiträgen an unterverdienende Familienoberhäupter lösten die Konservativen einen Teil ihrer Wahlversprechen ein. Gleiches gilt für die Einschränkung der staatlichen Streikgelder, die Neuordnung der Strafgerichtsbarkeit und die Schadenersatzpflicht aus Vergehen und Verbrechen. Andere Bestimmungen, wie jene über die Zivilluftfahrt und den Rauschgiftmißbrauch, waren bereits von der Arbeiterregierung vorbereitet worden.

Ebenfalls in den Bereich des wenig Umstrittenen fielen Gesetze über dde Sanierung des Althäuserbestandes, die Haftung bei Tierhaltung und die Lohnpfändung. Die einzige, ganz wesentliche Vorlage wurde ganz zum Schluß, am letzten Tage, endgültig durchgepeitscht: das Gesetz aur Regelung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

In den vorangegangenen Debatten wurde die politische Wurzel des Unbehagens der Abgeordneten deutlich. Die Arbeiterregiierung hatte einen sehr ähnlich an Reformplan unter dem Druck der Gewerkschaf ten fallenigelassen. Die nunmehrige Opposition machte durch (scheinbar) erbitterte Ablehnung der konservativen Vorlage ihre eigene Blamage komplett.

Bei der Diskussion über die Beitrittsbedingungen zum Gemeinsamen Markt wirkte Wilsons Pokergesicht aiuch kaum glücklicher. Schließlich hatte seine Regierung die jüngsten Verhandlungen seinerzeit eingeleitet. Damals gab sich der Premier Wilson als überzeugter Europäer. Heute lehnt er als Oppositionsführer die Verhandlungsergabnisse ab, während seine ehemaligen Unterhändler ausdrücklich für sie eintreten. Wenn ihm bei diesen Kehrtwendungen etwas zugutezuhalten ist, dann das Bestreben, Ärgeres zu verhindern.

Innerhalb seiner Partei stellt sich eine klare Mehrheit gegen den EWG-Beitritt. Unter diesen Umständen kann Wilson es sich eher leisten, die Beitrittsbefürworter vor den Kopf zu stoßen. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß sie die Spaltung der Partei bis ziur UnVersöhnlichkeit treiben. Nur die radikalsten EWG-Gegner sind dazu bereit. Sie fordern außerdem Wiederaustritt, sobald eine Arbeiterregierung erneut am Ruder ist. Durch seine Haltung möchte Wilson verhindern, daß auf dem Parteitag im Herbst eine

Mehrheit diese unglückliche Forderung unterstützt.

Auch in den konservativen Reihen war die Stimmung gereizt. Die echten Beitrittsgegner der Regierungspartei scheinen zwar weniger Schwierigkeiten au machen, als zu befürchten stand. Aber die Wirtschaft kränkelt nach wie vor dahin. Erst jüngst mußten große Werften am oberen Clyde ihren Bankrott erklären. In ganz Schottland erreicht die Arbeitslosigkeit 6,2 Prozent, am Clyde sogar 15 Prozent. Selbst auf lange Sicht bleibt die Arbeitsbeschaffung kaum au lösen. Nach wie vor wird viel zuwenig investiert, auch die Produktion stagniert fast.

Dafür sind die Konsumentenpreise im letzten Jahr um 10,3 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum lagen die Lohnerhöhungen bei 13,4 Prozent, wogegen die Produktivität bloß um 6.1 Prozent stieg. Wie sich die gestaffelten Budgetmaßnahmen auswirken, muß sich erst heraussteilen. Ein Sektor mit so großer Arbeitslosigkeit wie die Investitionsgüterindustrie wird auf jeden Fall sehr spät von ihnen profitieren, denn die Wirtschaft soll, etwas einseitig, über den Konsum angekurbelt werden.

Nicht einmal die Übernahme der Kreditbürgschaft von 250 Millionen Dollar für die Lockfaeed-Werke durch die US-Regierung, die der Kongreß Anfang August billigte, ist eine ungetrübte Freude. Die Amerikaner können ihre Tristar-Fliugzeuge baiuen, Rolls Royce kann dazu die Triebwerke liefern. andernfalls hätte das Werk seine 30.000 Menschen entlassen müssen. Bei ihrer angespannten Finanzlage werden die Fluggesellschaften jedoch sicher nicht jene Zahl von Flugzeugen abnehmen, die für beide Firmen die Erzeugung rentabel machen würde.

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