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Coudenhoves Erbe

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Vor einigen Monaten sagte mir Eichard Coudenhove, er habe das Gefühl, daß er nunmehr seine letzte Schlacht schlage. Diese bestehe darin, den Europäern nicht nur die Bedeutung und die Gefahren der Sicherheitskonferenz aufzuzeigen, sondern auch das kommende politische Ereignis für das Ziel auszuwerten, eine weitgehende Einigung wenigstens innerhalb der Europäischen Gemeinschaften durchzusetzen.

Wieder einmal hatte Coudenhove den Mut, Unpopuläres auszusprechen und weit in die Zukunft zu schauen. Früher hatte man ihn angegriffen, weil er die Ostpolitik General de Gaulies unterstützte. Nun warf man ihm vor, ein „kalter Krieger“ geworden zu sein, weil er sich mit aller Kraft gegen eine Verhandlung aussprach, in der eine einzige Supermacht, Rußland, einer Unzahl uneiniger kleiner Staaten gegenüberstehen würde.

Diese Kritik, einmal von rechts, einmal von links, konnte Coudenhove nicht von seinem Wege abbringen. Wie wenige andere Menschen, war er von der Umwelt innerlich unabhängig. Der tiefere Grund dafür dürfte darin gelegen sein, daß er vom Leben nichts erwartete, daß er einen hohen Sinn für Pflichterfüllung besaß und immer bereit war, die Pflicht um ihrer selbst willen zu erfüllen. Aus dem gleichen Gefühl stammte auch sein mangelndes Verhältnis zur Macht. Coudenhove war kein Politiker im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Er war nicht darauf aus, Applaus zu ernten, oder einen Posten zu erlangen. Gewiß freuten ihn Zustimmungen und Ehrungen. Aber das war nicht das letzte Motiv seiner Handlungen. Bei ihm galt vor allem der Dienst an der Idee. Dieser Idee ist er unter schwersten Umständen treu geblieben. Deshalb auch seine nicht zu leugnenden Erfolge.

Coudenhove ist vor allem als der Vater des Pan-Europäischen Gedankens bekannt. Das war der ständige Mittelpunkt seines Sinnens und Handelns. Er hat aber daneben in vielen praktischen Fragen als Mahner und Ratgeber gewirkt und einen nicht unbeträchtlichen Einfluß hinter den Kulissen ausgeübt.

Ich erinnere mich noch an ein Mittagessen im Elysee mit Charles de Gaulle, im kleinsten Kreise, im Herbst 1969. Die Rede kam auf Coudenhove und einer der Anwesenden wollte ihn als bloßen Visionär abtun. Der französische Präsident widersprach lebhaft. Er sagte, Coudenhove sei eben ein Mann der Ideen. Viele seiner — de Gaulies — Initiativen seien auf Briefe und Anträge Coudenhoves zurückzuführen.

Für den Vater Paneuropas war die Integration des Erdteiles Teil seines Friedenskonzeptes. Schon frühzeitig hatte Coudenhove verstanden, daß die Einigung Europas nur eine Etappe auf dem Wege zu einer größeren Weltordnung sein könne. Natürlich war ihm klar, daß er diese weiteren Schritte nicht mehr erleben werde. Trotzdem war es sein Sinnen und Trachten, Europa eine Form zu geben, die nicht den Weg in die Zukunft verbaute. Darum war er stets ein Vorkämpfer des Abkommens von Yaounde, durch welches die fortgeschrittenen afrikanischen

Staaten eine besondere Verbindung zum europäischen Gemeinsamen Markt erhalten sollten.

Coudenhove war gerade in den letzten Monaten seines Lebens wegen der neuen freiheitsfeindlichen Bewegung, der Sicco Mansholt, derzeitiger Präsident der Europäischen Kommission, Ausdruck gegeben hat, in Sorge.

Mansholt ist sicherlich kein bewußter Anhänger totalitärer Gedankengänge. Sein Plan aber, das Europa von morgen einer allweisen und allwissenden Bürokratie unterzuordnen, bedroht nicht nur die persönliche Freiheit, sie ist auch der kürzeste Weg in eine neue Form des Totalitarismus. Coudenhove wußte, daß die bösen Kräfte der Vergangenheit niemals in der gleichen Maske wie seinerzeit auftreten.. Es ist eine immer wiederkehrende geschichtliche Absurdität, daß sich Staaten und Gesellschaften meist nur auf vergangene Revolutionen vorbereiten, selten aber die Fähigkeit besitzen, auf diesem Gebiete vorauszudenken. Es ist unvernünftig, heute eine Wiederkehr Hitlers oder des Faschismus zu erwarten. Diese Form des Totalitarismus ist ein für alle Mal verschwunden, genau so wie der napoleonische Cäsarismus. Der totalitäre Gedanke aber lebt, wenn auch in einer anderen politischen Windrichtung und selbstverständlich in einem neuen Gewand.

Mansholt hat seine Gedanken einen „europäischen Sozialismus“ genannt. Das Wort ist beliebt und erweckt Vertrauen. Eben deshalb ist seine Verfälschung besonders gefährlich. Was nämlich hier vorbereitet wird, ist keineswegs die Verwirklichung des Traums der großen Sozialisten. Hier handelt es sich um eine neue Form des Feudalismus, der mit Hilfe der „neuen Klasse“, des bürokratischen Apparats, herrschen soll. Gefährlicher als je in der Geschichte ist der Feudalismus in diesen unseren Tagen, weil er mit den unbeschränkten Mitteln moderner Technik ausgerüstet ist.

Die drei Gedanken, mit denen Coudenhove in den letzten Jahren seines Lebens gerungen hat, sind zugleich auch sein geistiges Vermächtnis. An erster Stelle steht hier die Einigung Europas, Vorbedingung aller weiteren Schritte. Auf dem Wege dahin muß man rein pragmatisch vorgehen, das große Ziel stets im Auge haben, aber jeden kleinsten Fortschritt, der sich bietet, ohne Verzug wahrnehmen und niemals das Erreichbare einer Idealvorstellung opfern. Daher die Bereitschaft, unter Umständen auch auf eine bloße Konföderation einzugehen, wenn diese derzeit der einzige gangbare Weg ist.

Das Europa von morgen — und das war der zweite Gedanke Coudenhoves — muß nach außen hin offen sein. Es darf nicht seine Verpflichtungen gegenüber der Menschheit, insbesondere nicht gegenüber unseren natürlichen Partnern vergessen.

Schließlich aber muß Europa, um sich selbst treu zu bleiben, ein Erdteil der Freiheit zu sein. Freiheit und Vielfalt sind die entscheidenden Merkmale europäischer Kultur. Sie gegen alle Angriffe, kämen sie von innen oder von außen, zu verteidigen, ist lebensnotwendig. Das war Coudenhoves Leitmotiv in seinem Kampf gegen Hitler und Mussolini, dafür war er bereit, auch gegen die neue Form des bürokratischen Totalitarismus aufzutreten. Für diesen letzten Kampf aber war ihm die Zeit nicht mehr gegeben.

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