7006155-1987_43_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Bürgervertrag

19451960198020002020

Politiker in allen Lagern denken über ein neues Verhältnis zum Bürger nach (FURCHE 42/1987). Auch in Wahlkampfzeiten darf nicht nur mit Versprechungen operiert werden.

19451960198020002020

Politiker in allen Lagern denken über ein neues Verhältnis zum Bürger nach (FURCHE 42/1987). Auch in Wahlkampfzeiten darf nicht nur mit Versprechungen operiert werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Spätestens seit dem Beschluß des Sparpakets der Bundesregierung ist er ausgebrochen, der Kampf jeder gegen jeden, mit dem Ziel, die eigenen „wohlerworbenen Rechte“ zu sichern. Ein Egoismus nimmt überhand, der jeden Ansatz des Nachdenkens an das Gemeinsame erdrückt.

In einem solchen politischen Klima wäre es unverantwortlich, anläßlich von bevorstehenden Wahlen wie bisher mit Versprechungen zu operieren. Zum einen ist die wirtschaftliche Lage nicht geeignet, Geschenke zu verteilen.

Zum anderen sollten sich Politiker hüten, durch Versprechungen den Eindruck erwecken zu wollen, daß sie alles unter Kontrolle haben und für alle Probleme Lösungen anbieten können.

Zu lange haben Politiker das Anspruchsdenken der Bürger gefördert. Je höher der Lebensstandard, umso mehr war notwendig, um einen Fortschritt merkbar werden zu lassen.

Wir haben uns daran gewöhnt, ständiges Wirtschaftswachstum als ein Naturgesetz anzusehen und steigendes materielles Lebensniveau als ein Menschenrecht — nun empfinden wir die Rückschläge als Benachteiligung.

Politik aber ist weder ein Warenhauskatalog, aus dem man nach Belieben bestellen kann, noch ein Selbstbedienungsladen, wo man nimmt, was einem gefällt. Politik ist Gestaltung. Gestalten heißt, Entwicklungen nicht bloß mitzuverf olgen, sondern diese aktiv nach eigenen Vorstellungen zu beeinflussen.

Das Anspruchsdenken vieler Bürger hat zu politischer Passivität und Entmündigung geführt. Man glaubte, Briefe an das „Christkind“ würden genügen — und die Politiker werden den Bürger dann mit einem Füllhorn übergießen.

Wenn heute viele Stadtverwaltungen in Österreich sich „bürgernah“ geben, eigene Bürgerservicestellen eingerichtet haben oder Büros für Bürgerinitiativen, wenn nicht nur Bürgermeister und Stadträte, sondern auch Gemeinderäte Sprechstunden halten und den direkten Kontakt mit dem Bürger suchen, wenn in die Gemeindeordnungen Instrumente der direkten Demokratie aufgenommen oder erweitert werden, kurzum: wenn dem Bürger mehr Rechte eingeräumt werden, dann ist es auch notwendig, daß diese Chancen genutzt werden.

In diesem Sinn sollten in Zukunft Wahlprogramme in den Gemeinden weniger Versprechungen enthalten, die ohnehin nicht mehr geglaubt werden, sondern die Politiker sollten mit den Bürgern einen Vertrag abschließen -

einen Bürgervertrag. Dieser sollte die Grundlage für das gemeinsame Gespräch sein.

Gemeinsam über das Gemeinsame zu reden und die Grundlagen für das Zusammenleben zu schaffen — dieses Miteinanderre-den bringt auch einen neuen Stil in der Politik mit sich.

Es sollte ein Stil der Bescheidenheit sein: Bescheidenheit des Politikers gegenüber dem Bürger, Bescheidenheit gegenüber den zu lösenden Problemen (das bedeutet das Eingeständnis, daß es nicht für alle Probleme eine Patentlösung gibt), Bescheidenheit in den Dimensionen (Leopold Kohr: „Die Größe ist es, die uns umbringt“) und Bescheidenheit in den materiellen Ansprüchen, weil ausufernder Materialismus nicht nur die Beziehungen der Menschen untereinander zerstört, sondern auch die Natur.

Einen solchen Bürgervertrag -

contract social - hat Erhard Bu-sek im Wiener Wahlkampf vorgelegt; kein Wahlprogramm mit Versprechungen, sondern eine Aufforderung an die Bürger zu aktiver Teilnahme, weil Probleme in einer Stadt (in einer Gemeinde) auch nur gemeinsam von Politikern und Bürgern gelöst werden können.

Keine Stadt der Welt kann mit noch so viel Geld gesunde Umweltbedingungen sicherstellen, wenn nicht die Bürger selbst durch umweltbewußtes Handeln zur Erhaltung der Natur beitragen; keine Stadt der Welt kann mit noch so viel Geld eine vernünftige Verkehrspolitik machen und öffentliche Verkehrsmittel ausbauen, wenn die Bürger nicht auf ihr Auto verzichten wollen; keine Stadt kann mit noch so viel Geld für die Gesundheit ihrer Bürger sorgen, wenn diese selbst mit ihrer Gesundheit sorglos umgehen.

Bei einem Bürgervertrag muß jeder Vertragspartner seinen Beitrag für das Wohl der Gemeinschaft und ihre Zukunft leisten. Es ist dabei möglich, daß man zugunsten des Gemeinsamen auch auf etwas verzichten wird müssen. Dieser Verzicht heute mag aber ein Gewinn für die Generation morgen sein. Denn wir sollten nicht nach dem Motto leben, “ „nach uns die Sintflut“, sondern „vor uns die Zukunft“.

Der Autor ist ÖVP-Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung