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Der Jemen wählt

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Ausgerechnet der Jemen, „Arabiens Hinterhof“, liefert gegenwärtig ein Beispiel dafür, wie ein arabisches Land aus eigener Kraft den Weg vom Mittelalter in die Neuzeit finden kann, wenn man es dabei in Ruhe läßt. Der Fünfmillionenstaat an der Südspitze der arabischen Halbinsel war jahrhundertelang das unzugänglichste Gebiet der Region. Von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen, führt der Jemen unter der despotischen Herrschaft einer der ältesten Dynastien der Menschheitsgeschichte ein kaum beachtetes Dasein.

Im Herbst 196.2 kam es zur blutigen Revolte einer Offiziersgruppe gegen den letzten König. Das unglaublich rückständige, gewalttätige System fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Doch der Imam, Mohammed el-Badr, entkam in Frauenkleidern aus den Trümmern seines Lehm- palastes und wurde Oberhaupt einer gegen die von Präsident Abdullah es-Sallal ausgerufene Republik ankämpfenden Royalistenpartei.

Es entspann sich ein nahezu fünfjähriger, grausamer Bürgerkrieg, und die Republikaner wußten sich keinen anderen Rat als einen Hilferuf nach Ägypten. Nildiktator Abdel Nasser schickte einige Tausend Berater, die das Land von Grund auf modernisierten und ihm eine funktionsfähige Verwaltung, Polizei und Währung verpaßten. Er entsandte aber auch, nach und nach, 70.000 Soldaten mit hochmodernen Waffen, Panzern und

Flugzeugen. Sie führten mit Artillerie, Bomben und Napalm einen gnadenlosen Kleinkrieg gegen die rebellischen Nomadenstämme im Norden des Gebirgslandes unter der Führung prinzlicher Befehlshaber.

Der Jemen, im Altertum als „arabia felix“ („Glückliches Arabien“) und Heimat der in der Bibel erwähnten Königin von Saba ein Paradies, wurde vollends verwüstet und Schauplatz eines „Stellvertreterkrieges“ zwischen den ideologischen Lagern der arabischen Welt. Präsident Abdel Nasser unterstützte die Republikaner, König Feisal von Saudi- Arabien half den Monarchisten.

Mehrere Schlichtungsversuche verliefen buchstäblich im Sand. Doch 1967, nicht lange vor Ausbruch des arabisch-israelischen Sechstagekrieges, gaben die Ägypter ihre Niederlage zu und verließen das Land.

Der ägyptische Abzug führte beinahe augenblicklich zu einer Beruhigung der Lage im Jemen. Auf der royalistischen Seite verschwand der Imam in der Versenkung. Die Republikaner gaben sich eine neue Regierung der nationalen Einigkeit. Ihr Chef wurde der ehrwürdige alte Kadi Abdullah el-Iriani, übrigens Nachkomme einer längst nach Israel vertriebenen jüdischen Familie aus der Hauptstadt Sana’a („Die Stadt, die Allah liebt“).

Zwar wurde noch eine Zeit geschossen, gleichzeitig aber verhandelte man über das Ende des nationalen Zerwürfnisses. Bald ruhten die

Vorderlader und man rauchte die „Friedens-Nargileh“. Royalisten wurden indie republikanische Regierung aufgenommen, kommende Woche ist der erste Abschnitt auf dem Weg in die Zukunft zurückgelegt: Die fünf Millionen Jemeniten sind auf- gerufen, in allgemeiner, gleicher, freier und geheimer Wahl ihr erstes Parlament zu wählen.

Es gibt freilich Ansätze zur Parteibildung, man wählt ausschließlich Persönlichkeiten, und Araber neigen zur Bestätigung vorgegebener Autorität. So wird die Wahl keine starke Veränderung der bisherigen inner- politischen Verhältnisse nach sich ziehen. Doch Wahlen sind in den arabischen Staaten noch beinahe ein Fremdwort. Um so erstaunlicher ist es, daß die Menschen ausgerechnet in einem so rückständigen Land zum ersten Mal selbst über ihr Schicksal bestimmen können. Der Jemen betrieb unter Kadi el-Irianis Führung seit dem Ende des Bürgerkrieges eine konsequente Politik der Versöhnung im Inneren und der Nichtanlehnung im Äußeren. Er nimmt Entwicklungshilfe von West und Ost und macht damit die besten Erfahrungen. Bestätigen die Jemeniten diesen Weg, könnte der Jemen zu einem arabischen Entwicklungsmodell werden.

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