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Der vergessene Krieg

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Jemens Imam Mohammed el Badr Ist der einzig lebende Monarch, der zweimal entthront wurde: Zum erstenmal, im Herbst 1962, von republikanischen Revolutionären; zum zweitenmal, im Sommer 1968, von revolutionären Royalisten. Anfang Juni schon drangen nach Beirut Gerüchte, der Imam sei vom Oberbefehlshaber seiner Stammeskriegier, Pninz Mohammed Ben Hussein, gestürzt und durch seinen Vetter Abdullah Ben Hassan ersetzt worden. Das wurde jetzt bestätigt durch den in den Höhlen von Eit Acha’n stationierten royalistischen Rundfunksender. Die Einmannherrschaft sei beseitigt, meldete er, und die Macht habe ein fürstlicher Rat übernommen. Dieser bestehe aus Mitgliedern des Königshauses Hamid ul Din. Blaublütige Marodeure und nicht, wie in den anderen arabischen Ländern, kleinbürgerliche Revoluzzer besorgten den endgültigen Sturz einer der ältesten noch existierenden Monarchien der Welt. Mohammed, ihr schon nicht mehr formell gekrönter letzter Herrscher, führte seinen Stammbaum zurück auf die Königin von Saba, eine Zeitgenossin des biblischen Salomon.

Seine Abdankung bringt Bewegung in die seit einem halben Jahr erstarrten Fronten des jemenitischen Bürgerkrieges. Sie ist das Eingeständnis der royalistischen Niederlage, beendet vielleicht die fast sechsjährige bewaffnete Auseinandersetzung mit den Republikanern und ermöglicht damit den angestrebten Zusammenschluß zwischen der „Jemenitischen Arabischen Republik“

von Sanaa und der „Volksrepublik Südjemen“ von Adeta.

Als Achmed „der Dämon“, der letzte gekrönte Imam, am 20. September 1962 an den ihm bei unzähligen erfolglosen Attentaten beigebrachten Wunden endlich qualvoll starb, starb auch das unberührte, unzivilisierte, unentwickelte, mittelalterliche Königreich Jemen. Der älteste Sohn Mohammeds regierte nur eine Woche. Dann stürzte ihn seine kleine Armee, angeführt von dem aus jahrzehntelanger Kerkerhaft befreiten Obersten Abdullah es Saliai. Kartätschen zerschossen den königlichen Palast, doch der König entkam in Frauetakleidern.

Auf Nordjemens Felsen, in unwegsamen Bergtälern und unzulänglichen Höhlen sammelten sich Prinzen, Stammiesscheiche und einige Ausländer, darunter ein deutscher Ingenieur als Chef des royalistischen Rundfunksenders und Anhänger der päde- rastischen Neigungen Mohammeds, zum romantischen Widerstand gegen den Zeitwandel.

Nutzlose Söldner

Der Bürgerkrieg ist in Wirklichkeit der zeitgemäße Ausdruck eines seit je die jemetaitische Geschichte durchziehenden religiös-politischen Gegensatzes. Das Land wird geteilt durch eine muselmanische Konfessionsigrenze. Im Norden leben Schiiten, im Süden Sunniten.

Der mühsam unterdrückte Gegensatz brach erneut und schärfer aus als je in dem auf die Revolution folgenden Bürgerkrieg. Die Republik, die sich allein nicht behaupten zu können glaubte, erbat ägyptische Hilfe. Die Monarchie erhielt sporadische und keineswegs uneigennützige saudische Unterstützung. Es kam zu einem blutigen „Stellvertreterkrieg“ zwischen Konservativem und Revolutionären Arabiens und, wie es manchmal schien, zwischen West und Ost. In ihm geschah etwas Erstaunliches: 70.000 modern ausgerüstete ägyptische Elitesoldaten und 25.000 republikanische Milizionäre blieben sieglos gegen 30.000 schlecht bewaffnete und undisziplinierte royalistische Stammeskrieger. Doch nicht etwa, weil die Monarchie mehr und die Republik weniger beliebt war in der Bevölkerung, sondern wegen des erwähnten innerpoliti schen Gegensatzes. Hinzu kam die, auch für den arabisch-israelischen Sechstagekrieg entscheidende, mangelnde Kampfkraft der ägyptischen Armee.

Die Ägypter hinterließen, als sie im Spätherbst 1967 abzuziehen begannen, eine scheinbar todgeweihte Republik. Im Jänner erschienen die Royalisten vor Sanaa. Die Hauptstadt wurde eingeschlossen, die Verbindungsstraßen zwischen ihr und den Städten Taiz und Hodeida unterbrochen. Imam Mohammed erließ eine feierliche Proklamation an seine abgefallenen Untertanen und verlangte ihre Kapitulation.

Doch es gab ein Wunder. Die Republik wurde, alleiti auf sich gestellt, plötzlich stärker als die Monarchie. Den Royalisten fehlten schwere Waffen, und die Republikaner mobilisierten jeden Mann. Sanaa Überstand bis heute die Belagerung. Saudi-Arabien, das sich mit Ägypten einigte, versagte dem Imam weitere militärische und finanzielle Unterstützung. In dem sechsmonatigen Stellungskrieg litt die Disziplin der Stammesarmee. Auch das halbe Hundert ausländischer Söldner unter dem belgischen Fallschirmjägerobersten Louis Martin wendete nicht das Kriegsglück. Die für rund 1000 Dollar Monatssold verpflichteten Belgier und Franzosen beschränkten sich hauptsächlich auf die militärische Beraterrolle. Deutsche ließen sich erst gar nicht anwerben. Auch die von einem Beiruter Journalisten angeregte und von einem Bonner Manager organisierte humanitäre Hilfe fließt nicht mehr. Für sie interessierten sich allzu viele Geheimdienste.

Der Kampfverlauf nach dem ausländischen Truppenabzug scheint zu beweisen, daß die Republik dem Volkswillen mehr entspricht als die Monarchie. Bei den Royalisten hofft man nur noch auf einen Kompromißfrieden. Er wird erleichtert durch das Verschwinden der beiden persönlichen Feinde Abdullah es Saliai und Mohammed el Badr. Es gäbe ihn vermutlich schon längst, bestünde nicht auf republikanischer Seite ein schwer abschätzbarer sowjetischer Einfluß…

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