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Die Fassade des Kremls

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Assen Ignatow ist ein zwar in Köln lebender, überwiegend aber in französischer Sprache publizierender Osteuropa-Kenner, der aus seiner bulgarischen Heimat persönliche Erfahrungen und konkrete Kenntnisse mitbringt. Seine deutsch vorliegende Studie über „Apo-rien der marxistischen Ideologielehre“ (München 1984) hat ihn als scharfsinnigen Kritiker von Wesenselementen des Marxismus ausgewiesen. Seine neueste Veröffentlichung über die „Psychologie des Kommunismus“ (Studien zur Mentalität der herrsehenden Schicht im kommunistischen Machtbereich. Johannes Berchmans Verlag, München 1985, S 181,-) steht vom Titel her unter dem Anspruch, es Jules Monnerots Analyse des Islam des 20. Jahrhunderts, dessen „Soziologie des Kommunismus“ (deutsch 1952) gleichzutun.

Mit der Begründung seiner Arbeit verwickelt sich Ignatow unnötig in einen Widerspruch. Er ist der Auffassung, daß man in der freien Welt falsche Vorstellungen von den kommunistischen Parteien und Regimen einst und heute hege, und er eben deshalb, gewissermaßen als Bahnbrecher, seine Erfahrungen und Analysen vorzubringen habe. Er stützt sich in seinen Ausführungen aber auf eine ansehnliche Zahl sowohl von Experten seiner Art, von Exilierten von Niko-laj Berdjajew an bis Alexander Solschenizyn, wie auch auf hervorragende Fachkenner akademischer Schulung im Westen, auf Alain Besan-; con, Helmut Dahm und andere.

Demnach wäre nicht so sehr die abermalige Ausbreitung ohnehin gesicherten Wissens so dringlich als vielmehr die Erörterung der Frage, weshalb dieses Wissen im Westen so wenig politisch greift, sodaß es den Anschein hat, es müßte immer wieder neu vorgebracht werden. Eine Untersuchung der willigen Selbstblendung und der geistig-moralischen Immunschwäche der , freien Welt wäre des offenbar stets bloß sagenhaften Schweißes der Edlen doch wohl eher wert.

Ignatows Studien über „Das sowjetische Establishment“, so in einer üblichen, modisch verharmlosenden Titelformulierung Michail Morozows, Stuttgart 1971, besitzen dennoch Eigenwert. Das deshalb, weil sich Ignatow nicht mit der Sammlung und Beschreibung bekannter Oberflächenphänomene und Strukturelemente der kommunistischen Totalitätsregime begnügt, auch nicht dem neuen Wundermann beflissen Vorschußlorbeeren flicht, sondern die Analyse tiefer treibt: In die letztlich präurbane, „bäurische“ Grundsubstanz kommunistischen Agierens, in die — begrenzten - Zersetzungsprozesse dieses Verhaltens in der Gegenwart, in die immerwährende Präsenz kommunistischer Herrschaft, gleichviel, wie sie sich jeweils konkretisiert, infolge ihrer Verwurzelung im Wesen des Menschen selbst. Das paßt allerdings nicht zu den heutigen Einlullungsapolo-gien und Hoffnungslitaneien um eines chimärischen Friedens willen.

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