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Die soziale Unrast am Nil nimmt zu
In Ägypten hält die auf wachsenden sozialen Nöten beruhende innenpolitische Unrast auch nach militärischer Niederwerfung der Teuerungsrevolte vom Jänner weiter an. Die jetzt in fast allen ägyptischen Städten anlaufenden Prozesse gegen deren Anführer und Teilnehmer lassen aber einen gewissen Abschreckungseffekt nicht vermissen.
Die von Präsident Sadat gleichzeitig mit den Notverordnungen über das Kundgebungsverbot erlassenen einschneidenden fiskalischen Bestimmungen und die Beibehaltung der Preisstützung bei Grundnahrungsmitteln und Verkehrsbetrieben sahen zunächst nach gutem Willen zur Behebung der sozialen Hintergründe des von Ägyptens illegaler Linken organisierten Aufruhrs aus. Der Handel und die freien Intelligenzberufe wurden mit Abgaben bis zu 60 Prozent des Einkommens belegt, Steuersünder mit Zwangsarbeit bedroht
Das war bei den breiten Massen der Bauern, Arbeiter und dem Heer der aus der Nasser-Ära übernommenen allzuvielen und allzu schlecht bezahlten Staatsangestellten anfangs recht populär. Bald stellte sich jedoch heraus, daß Ärzte, Anwälte, Apotheker und Geschäftsleute die erhöhte Steuerbelastung auf ihre Kunden abwälzten. “Damit erreichte die nun schon seit fünf Jahren anhaltende Inflationswelle ihren Höhepunkt.
Angesichts dieser Entwicklung tragen sich zahlreiche Ägypter mit Emigrationsplänen. Die Auswanderungswelle hat erstmals neben der christlichen Minderheit auch etliche Muslims erfaßt. Wer militanter gesinnt ist, schließt sich dem linken Untergrund an. Die beinahe täglichen Terroranschläge richten sich neuerdings auch gegen Institutionen des „kapitalistischen Auslands”. Die Amerikanische Universität in Kairo hat alle Publikumsveranstaltungen in ihren Sälen nach wiederholtem Bombenalarm eingestellt Gemäßigtere wenden sich der einzigen legalen Linkspartei, der „Progressiven Sammlung” zu. Sie konnte ihre Mitgliederzahl seit Januar verdoppeln. Der große Rest stärkt die Reihen der unzufriedenen Flüsterer.
Der Unwille der einen wie der anderen richtet sich besonders impulsiv gegen die ausländischen Wirtschaftsberater. Man sieht in ihnen Kontrollore, die nur über die Rückzahlung von Zinsen und Schulden zu wachen haben.
Dabei zeigt die Entwicklung des Fremdenverkehrs- und Baugewerbes, daß Sadats Wirtschaftspolitik langfristig nicht nur der Oberschicht, sondern gerade den Arbeitnehmern reichen sozialen Segen verspricht. In den beiden genannten Sektoren der Wirtschaft erreichen sogar ungelernte Arbeiter seit über einem Jahr Monatseinkommen, die über den offiziellen (nicht den tatsächlichen) Ministergehältern liegen. Doch scheint es in Ägypten sowohl an den Mitteln als auch an den Fähigkeiten zur Steuerung der sozialen Not zu fehlen.
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