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Ein Mondgesicht

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Sie blickt mich finster an, mit zusammengekniffenen Augen. Versuche ich's meinerseits heller, so dreht sie den Kopf weg. Bläst sich, die Unterlippe vorgeschoben, verächtlich in die Stirnfransen.

„Willst du den Gast nicht begrüßen?" „Nein, will ich nicht." Hat ihre Mutter gesagt — hat sie geantwortet. Übrigens heißt sie Pola. „Und wie heißt der Gast?" fragt sie ihre Mutter. „Ein ekliger Name!" Ich sitze ihr vis-ä-vis am Tisch und vertiefe mich in meinen Curryreis. Das gelingt mir, bis ihre Finger mitten hinein fassen.

.Aber Pola", sagt ihre Mutter. Da räuspert sie sich. „Sie hats nicht leicht gehabt", sagt ihre Mutter. „Die Ubersiedlung von München hierher, der Schul Wechsel, naja und was sonst noch so anfällt."

Ihr Freund nickt bedächtig. Er hat den Curryreis gekocht und macht einen sanftmütigen Eindruck. „Aber Pola", sagt nun auch er, aber leiser. „Woher kommt der Gast überhaupt?" ignoriert Pola beide und spuckt meinen Reis auf ihren Teller. „Ach ja, Wien", sagt sie, „das ist das ekligste Land, von dem ich je gehört hab!"

„Ich hab auch eine Tochter", sag ich. Pola nimmt das schweigend zur Kenntnis. „Ungefähr in deinem Alter", sag ich. Jetzt bohrt sie in der Nase. Klebt, was sie derart zu Tage fördert, unter die Tisch-

platte.

„Meiner Tochter", sage ich, „muß ich immer Geschichten erzählen."

„Wohnt die auch in diesem ekligen Wien?" Pola stützt ihr Kinn in ihre Hand.

„Kaum habe ich sie von ihrer Mama abgeholt, sagt meine Tochter: Weiter! So als erzählte ich ihr eine endlose Fortsetzungsgeschichte."

„Na und?" wiederholt sich Pola.

„Naja", sage ich. „Manchmal fällt mir nichts mehr ein."

„Und was machst du dann?" schaut sie mir erstmals, wenn auch nur kurz, in die Augen.

Ich sage: „Ich bemüh mich."

„Und warum?" fragt sie.

„Weü ich meine Tochter gern hab."

„Hast du auch andere Kinder gern?"

Ich sage: „Seit ich meine Tochter kenne, ja."

Polas Mutter, sie heißt Renate, lächelt. Sie hat aparte Lachfält-chen um den Mund, die könnte ihre Tochter eines Tages auch kriegen. Würden ihr gut stehn, denke ich, ihrer Mutter stehn sie ja auch gut. Aber im Augenblick bemüht sich Pola eher um eine Stirnfalte. Dann flüstert sie ihrer Mutter etwas ins Ohr.

Wieder ein Lächeln. „Also das mußt du ihn schon selbst fra-

gen...

Pola räuspert sich wieder. Es wird ein regelrechter Räusperanfall.

„Was hat sie denn wissen wollen?"

„Ob der Gast nachher mit ihr spielt."

Ich frage: „Was soll er denn mit dir spielen, der Gast?"

„Wir könnten", sagt Pola, „miteinander auf einem Schiff fahren und in ein Unwetter geraten."

„Ach ja", sage ich, „keine schlechte Idee. Aber wo ist unser Schiff?"

„Komm", sagt Pola. Sie faßt mich an der Hand und zieht mich ins Kinderzimmer.

Dann sitzen wir beide im selben Schlauchboot und rudern. „Papa und Mama haben es für den Urlaub angeschafft", sagt Pola, „aber dann ist der Urlaub ins Wasser gefallen." „Refft die Segel, Matrosen, die Nacht ist schwarz und die See geht hoch! Kurs hart Steuerbord, backbords lauert ein Seeungeheuer!" Heißt es Skylla oder Charybdis, das hab ich vergessen. „Quatsch, Eukalyptus, heißt es!" meint Pola. Gut, Eukalyptus. „Warte nur, Eukalyptus, dir werden wirs zeigen!" „Wenn du uns zu nah kommst, lassen wir die Luft aus und blasen dich über die Mauer!"

„Welche Mauer?" frag ich.

„Na über die Mauer!"

„Ach so, wir sind in Berlin."

„Na wo denn sonst? Uber die

Mauer. Habt ihr in eurem ollen Wien denn keine Mauer?"

„Keine solche."

„Na schnurzegal. Weh dir, Eukalyptus!"

„Die Oma ist drüben", sagt Pola nachher. Ich habe die Mauer fast vergessen. Wir lagern am Strand von Pellargonien, lassen die Füße ins Wasser hängen und ködern auf diese Weise Pirhanas. Wenn sie unsere Zehen abfressen wollen, sind wir schneller und fangen sie mit der Badehaube. „Und braten sie auf dem Spieß, die bösartigen Viecher, das haben sie dann davon!"

Bei diesen Worten blinzelt mir Pola zu. Auf dem Grund ihrer Augen — oder genauer: dahinter — kündigt sich etwas an. Eine kleine Lichterscheinung. Ich sitze da und warte darauf: gleich ist es soweit. Aber da klingelt das Telefon und noch dazu geht es mich an. Nachher muß Pola ins Bett.

„Gute Nacht", sag ich. „Tschüß", sagt sie, wieder sehr sachlich. Geschichte will sie keine hören. Schön, ich dränge mich nicht auf. Plaudere noch eine Weile mit den Erwachsenen. Dann wollen die ins Kino. Ob ich Lust habe, mitzugehn. Nein danke, bin zu müde. So bleibe ich noch eine Weile beim Rotwein sitzen, nachdenklich, dann gehe ich ins Badezimmer.

Ich bin gerade beim Zähneputzen, da höre ich draußen kleine Schritte, jetzt senkt sich die Türschnalle. „Hallo!" sage ich. „Hallo", sagt Pola, im Nachthemd. „Schläfst du bei uns?" „Ja", sage ich. Sie sagt: „Mir auch recht!" Wo ihre Mutter ist? Ins Kino gegangen. „Typisch", sagt Pola. „Was läuft denn da für ein Film?" „Ich weiß nicht." „Auch gut", sagt Pola: „Ist nicht so wichtig." Kann sie mir noch was helfen? „Nein danke, ich werde mich schon zurechtfinden."

Sie nickt, vielleicht eine Spur enttäuscht, und verschwindet aus dem Türspalt. Als ich in mein Zimmer komme, erwartet mich eine Überraschung. Zwei Comicstrip-Hefte, ein Rätselbuch für Kinder und ein Plüschbär, alles auf meiner Bettdecke. Und eine Handvoll Bonbons, falls ich noch Lust auf etwas zum Naschen habe. Ich überlege, ob ich zu ihr hinübergehen und mich bedanken soll, aber da klopft es. Ich sage: „Ja!" Da schlüpft sie zu mir herein. „Entschuldige", sagt sie, „daß ich dich noch einmal störe. Aber ich hab dir noch eine Zeichnung gemacht!"

Und geht in die Knie und legt mir die Zeichnung aufs Bett. Und schaut mich an und ich schaue zurück, doch da huscht sie davon. ,.Pola!" sage ich, doch sie ist unwiderruflich weg, drüben fällt eine Tür zu. Auf dem Zeichenblatt, das sie mir geschenkt hat, ist ein Mondgesicht, das lächelt.

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