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„Ich habe nichts gegen Fortschritt"

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Was für den neuen ÖVP-Generalsekretär Michael Graff hinter den Schlagworten zu Wertbegriffen steht, versuchte er in einem FURCHE-Interview zu präzisieren.

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Was für den neuen ÖVP-Generalsekretär Michael Graff hinter den Schlagworten zu Wertbegriffen steht, versuchte er in einem FURCHE-Interview zu präzisieren.

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FURCHE: Konservativ, liberal, christlich, sozial, progressiv, alternativ — sechs Kärtchen mit diesen Wertbegriffen sollten Sie in der ,J?ressestunde" vom 7. März reihen. Sie haben aus den fünf erstgenannten einen Blütenkranz gebildet und statt „alternativ" aber „kumulativ" in die Mitte gelegt. Zudem entschieden Sie sich für etwas weniger konservativ, dafür mehr liberal. Was stört Sie am Konservativen?

OVP-GENERALSEKRETÄR GRAFF: Ich bin sicher kein Gegner des Konservativen, weil mir eine Grundhaltung, die vorhan-f dene Werte schätzt und bewahren will, durchaus einleuchtet und ich sie für richtig finde. Es ist sicher unsinnig, etwas deshalb über Bord zu werfen, nur weil es alt ist — vor allem dann, wenn man nichts Neues an seine Stelle zu setzen hat.

FURCHE: Charakteristisch für die Etikette „liberal" ist heute, daß sie so unklar ist. Was verstehen Sie darunter?

GRAFF: Wir hatten einen Liberalismus um die Jahrhundertwende, der einen stark kirchenfeindlichen Akzent hatte — das ist nicht der meine. Andererseits wird im angelsächsischen Raum der Begriff fast mit einem sozialistischen Akzent verwendet — auch so weit würde ich nicht gehen. Meine Idee von liberal heißt, daß man sich der Freiheit verpflichtet fühlt und im Zweifel immer für die Freiheit entscheidet.

Liberal hat aber für mich natürlich auch insofern Konsequenzen, als ich ebenso die Unannehmlichkeiten auf mich nehmen muß, die Freiheit mit sich bringen kann.

FURCHE: Zum Beispiel?

GRAFF: Es ist sicher sehr bequem, wenn man etwa die ANR (Aktion Neue Rechte) oder linksextremistische Gruppen verbietet. Ich bin weder für das eine noch für das andere. Ich glaube, daß man in einer Demokratie auch mit extremistischen Gruppen, soweit sie nicht physisch gewalttätig werden, leben muß, daß man sie politisch bekämpfen muß — aber nicht durch Verbote.

Geradezu grotesk ist es, wenn man, wie die SPÖ mit dem Entwurf eines neuen Parteiengesetzes etwa, nur nach der rechten Seite hin extreme Gruppen verbieten will. Das bringt zu einer illiberalen Haltung zusätzlich noch eine Einseitigkeit.

FURCHE: Und Sie bringen konservativ und progressiv unter einen Hut?

GRAFF: Das Wort progressiv, so modern es klingt, wirkt im heutigen Sprachgebrauch fast schon wieder verstaubt. Nur: Ich habe nichts gegen den Fortschritt. Ich bin kein Alternativer in der Form, daß ich etwa all die Annehmlichkeiten und Erleichterungen des Lebens, die die moderne Technik gebracht hat, von vornherein ablehne und auf die grüne Wiese als Hüter von selbstzuscherenden wie zu melkenden Schafen zurückstrebe.

Ich bin für die moderne Technik, wir sollten uns nur nicht von ihr unterdrücken lassen. Wir müssen aber verhindern, daß die Technik das ruiniert, was Natur und Umwelt dem Menschen bieten.

FURCHE: Welchen Stellenwert hat das Christliche?

GRAFF: So wie die ÖVP eine sehr starke christliche Wurzel hat, so habe auch ich durch meine Jugend im Schottengymnasium sehr prägende und bleibende Eindrücke aus dieser benediktini-schen Erziehung erhalten. Mich umgibt in meinem Leben eine christliche Atmosphäre — ohne daß ich jetzt in meiner politischen Funktion die Notwendigkeit sehe,

eine besondere Aktivität in dieser Richtung zu entfalten.

FURCHE:Könnten da mit liberalen Einstellungen nicht Spannungsfelder entstehen?

GRAFF: Nein, Spannungsfelder sehe ich überhaupt nicht. Schon Martin Luther hat von der Freiheit des Christenmenschen geschrieben und diese Freiheit soll der Christ haben. Die Begriffe christlich und liberal sind heute leichter vereinbar als sie es je waren.

FURCHE: Die Fristenregelung wurde mit dem Schlagwort einer Liberalisierung des Strafrechtes beschlossen...

GRAFF: Ich möchte den Begriff Liberalisierung nicht im Zusammenhang mit der „Fristenlösung" verwendet wissen. Ich trete für den Schutz des Lebens, auch des werdenden Lebens, ein, bin allerdings nicht der Meinung, daß das Strafrecht das geeignete Instrument für diesen Schutz ist.

FURCHE: Was bedeutet für Sie sozial?

GRAFF: Gerade wenn man für die Leistung und Leistungsanreize eintritt, darf man gerade aus christlicher Sicht nicht daran vorbeisehen, daß es Menschen gibt, die bei einem uneingeschränkten Leistungswettbewerb nicht mitkommen. Daher muß die moderne Gesellschaft den Schwachen Hilfe bieten. Das ist keine Frage des Ermessens, sondern ein zutiefst christlicher Auftrag.

FURCHE Was bedeutet für das alles letztlich „kumulativ"?

GRAFF: Das soll eigentlich nur heißen, daß mir alle die Werte lieb und teuer sind.

Das Gespräch mit dem OVP-Generalsekre-tär führte Hannes Schopf.

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