6892442-1979_50_07.jpg
Digital In Arbeit

Im Knopfloch eine rote Nelke

Werbung
Werbung
Werbung

Die Koalition der Unzufriedenen reicht von Herbert Gruhl bis Daniel Cohn-Bendit und Rudi Dutschke. Das ist nicht mehr nur eine abenteuerliche Vorstellung oder eine ad hoc-Kampfgemeinschaft, sondern Parteiplanung. Aus der Bundesrepublik Deutschland hört man, daß die bislang unabhängig agierenden „Grünen“ sich zentral organisieren werden. Dem Mangel an Koordination soll nun begegnet werden.

Was die Anhänger der „Grünen“ von den Etablierten unterscheidet, ist ein Minimalkonsens, der mit den vier Stichworten ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei formuliert wird. Daher zeichnet sich auch ab, daß sich zur Umweltpolitik die Friedensbewegung und die Frauenbewegung hinzugesellen werden.

Fast hätte es schon die Gründung einer „Grünen Internationale“ gegeben, wäre nicht die Terminkonkurrenz grüner Veranstaltungen in der Bundesrepublik Anfang November für die Veranstalter eines Umweltsymposions im Wiener Künstlerhaus zu groß gewesen.

Es hat den Anschein, daß mit den „Grünen“ ein erster organisatorischer Orientierungspunkt in der seit der an- und abgesagten Tendenzwende verwaisten kämpferischen ideologischen Landschaft gegeben ist. Ist der Minimalkonsens aber mehr als die Wiedergabe einer Bewußtseinslage, die - unter Jüngeren zumal - weit verbreitet ist? Läßt sich daraus schon ein organisatorisch operationalisierbares Konzept ableiten?

Ja, wenn man die weltverbesseri-. sehen Ökologen als die nützlichen Idioten stereotyper linker Forderungen ansieht. Dann wird aus dem mythischen Naturbegriff der Umweltschützer im Handumdrehen das Gefühl für die Einheit mit der Natur im Sinne von Friedrich Engels: Für ihn war der Fortschritt in den Naturwissenschaften der Garant dieses Einheitsgefühles, das den alten Gegensatz von Seele und Leib, Geist und Materie überwinden soll.

In der wissenschaftlichen Weltbeherrschung wird der Weg zur neuen Einheit gesehen. Welten trennen diese Ansicht, die an Science-fiction erinnert, vom Kulturpessimismus derer, die über die Plünderung unseres Planeten sich entrüsten.

Nicht nur Rudi Dutschke, auch in der DDR ungeliebte Theoretiker wie Rudolf Bahro und Wolfgang Harich kommen den um einen programmatisch zündenden Naturbegriff verlegenen Ökologen in der Bundesrepublik nun zu Hilfe. Sie erinnern ganz offensichtlich daran, daß wir in einem wissenschaftlichen Zeitalter leben und daher mit dem Mythos der unberührten Natur nicht viel angefangen werden kann.

Das grundlegend neue Verhältnis zur Natur wird im Sinne von sparsamer Ressourcennützung zu einem Postulat gesteigerter Aufmerksamkeit auf Natur verdünnt: im Endeffekt durchaus industriellen Alternativkonzepten vergleichbar. Das ist dann fast wie eine Blume im Knopfloch eines zerschlissenen Rockes und, sieht man genauer hin, die rote Nelke.

Wenn jetzt tiefernst Marx-Revisionisten ihre Klassiker wegen eines neuen Naturverständnisses bemühen, erinnert solche Zitatensuche an das Interesse an Gewürzen in Küchenrezepten. Leicht bleibt unerkannt, daß der Marxismus auch rein gar nichts mit einem postindustriellen Naturverständnis zu tun hat. In allen seinen Varianten ist er an das dialektische Identitätskonzept gebunden, dąs aus der Natur den Gegenstandsbereich von kausal-mechanistischen Naturgesetzen macht und damit das Material von Arbeit.

Was könnte eine solche Auffassung zu einem schwärmerischen Konzept beitragen, das den Menschen der Natur re-integrieren will? Lassen wir uns nichts vormachen. Auch nicht alle mit ihrem System überworfenen Ideologen des Ostens im Westen sind bereits überzeugte parlamentarische Demokraten, Basisdemokraten aber allemal.

r Wer ist diese Basis? (Sind das wieder die Kader Lenins?) Verbal wird eine Internationalisierung der Ökologiebewegung (wie der Friedensbewegung) gefordert, de facto bleibt sie an unseren Ostgrenzen stecken.

Drüben müssen die Parteibürokraten überzeugt werden. Dann sollen also Initiativgruppen hier, die gegen verfilzte Bürokraten antreten, pjötz- lich ausgerechnet Bürokraten als ihre Bündnispartner entdecken lernen, die zudem - im Unterschied zu unseren Bürokraten - keinerlei Kontrolle von außen ausgesetzt sind? Wer wird dieses Verwirrspiel aus Sympathie, Ideologie und Struktur ernst nehmen?

Nehmen wir die „Grünen“ beim Wort: An der Offenheit, mit der sie über die ökologischen Probleme - systemübergreifend - sprechen, werden wir sie erkennen. Keinem Ökologen von Schrot und Korn wird es einfallen, mit Leuten Bündnisse einzugehen, deren politische Intentionen auf die Beseitigung der politischen Strukturen abzielen könnten, die ökologische Bewegungen überhaupt politisch möglich machen.

Neues Problembewußtsein, neues Naturverständnis verändert möglicherweise politische Spiėlregeln. In evolutionstheoretischer Hinsicht klingt dies nicht absurd: Wir spielen ein Spiel, in dem sich laufend die Regeln ändern. Solche Änderungen ergeben sich durch fortschreitende Interpretationen, Kompetenzzuweisungen, Anwendung von Rechtsnormen, die für besonders gelagerte Fälle vorgesehen sind.

Wir müssen sie laufend beobachten und bewußt machen. Das ist mühsam und verlangt Wachsamkeit. (Mindestens so große Wachsamkeit, wie das oft kitschig beschworene neue partnerschaftliche Naturverständnis, das uns aus der Haltung des Ausbeuters herausführen soll. Die Blockade unseres Naturverständnisses zwischen Mythos und Arbeitswelt kann ja nur durch das Verständnis der regelverändernden Automatisierungsprozesse aufgebrochen werden.) Sonst könnte es sein, daß einer sich noch auf der grünen Welle wähnt und übersehen hat, daß längst auf Rot geschaltet ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung