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Digital In Arbeit

In kleinen Dosen

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Vor den Wahlen hörte man es anders: Da polierte der Regierungschef eifrig an seinem liberalen „Image“. Aber bereits in der Wahlnacht war von einem Wählerauftrag zu sozialistischen Reformen die Rede.

Nun ist zwar Bruno Kreisky ein Garant dafür, daß es keine radikalen Maßnahmen nach dem Geschmack der Jusos geben wird, also beispielsweise Verstaatlichung. Er garantiert dies schon deswegen, weil er weiß, daß er solche drastische Maßnahmen gar nicht notwendig hat.

Auf wirtschaftspolitischem Gebiet wurde die Piste bereits vom ÖGB-Bundeskongreß knapp vor den Wahlen ausgesteckt, auf jenem Kongreß, welcher durch die Abwahl des christlichen Präsidiumsmitglieds die sozialistische Dominanz in der mächtigsten Organisation Österreichs nunmehr unverblümt demonstrierte. Die Stimme des ÖGB hat aber innerhalb dieser Partei ein solches Gewicht, daß sie dessen Programm zweifellos zu ihrem eigenen machen wird — um so mehr, als das sozialistische Signum daran unverkennbar ist.

Die harten gesellschaftspolitischen — oder sagen wir lieber genauer: machtpolitischen — Forderungen sind, wie üblich, mit etwas sozialpolitischem Konfekt garniert, um dessen Finanzierung — noch dazu in einer Periode erschwerter Konkurrenzbedingungen und fehlender Gewinne von der Wirtschaft — sich aber offenbar niemand ernstlich Gedanken gemacht hat. Es geht :n erster Linie um die Ausweitung der Abfertigungs- und Urlaubsansprüche. Auch selbstkündigende Arbeitnehmer sollen Abfertigung bekommen, der Mindesturlaub soll generell auf vier Wochen verlängert, der Bildungsurlaub gesetzlich verankert werden.

Dahinter stehen die gesellschaftspolitischen Forderungen: Investitionslenkung, Vermögensbildung, und der Griff nach der Lehrlingsausbildung. In größerer Distanz gewinnt die Ausweitung der Mitbestimmung bereits Konturen.

Die bisherige neutrale Investitionspolitik soll durch eine differenzierende substituiert werden: „Gesamtwirtschaftlich notwendige“ Investitionen sollen mit Hilfe von Prämien, Zinsstützungen und Haftungsübernahmen „unter Setzung regionaler, struktureller und technologischer Prioritäten“ gefördert werden. Als Ergänzungsmaßnahme ist die verschärfte Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen vorgesehen: Das Eigenkapital der Firmen wird abgesaugt, um die Abhängigkeit von — an Auflagen gebundenem — öffentlichem Kapital zu verstärken. Wie aber sollen politisch motivierte „Experten“-Gemien rationaler entscheiden als ein direkt an den Marktchancen sich orientierender Unternehmer? Experimente dieser Art sind gerade in prekären Wirtschaftssituationen gefährlich.

In Wirklichkeit geht es hier weniger'um größere Effizienz der Wirtschaft als um Macht, um die Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse in die Büros der Gewerkschaften und Planungsbehörden, also um Verstaatlichung auf kaltem Wege.

Das neue verfeinerte Instrumentarium läßt erkennen, wie überflüssig die plumpe direkte Verstaatlichung für die sozialistische Zielsetzung geworden ist. Das schwedische Bestreben, an die Stelle der „institutionellen“ die „funktionelle“ Mitbestimmung treten zu lassen, soll also auch in Österreich imitiert werden. Der Vorteil für die Sozialisten dabei ist, daß die wahren Absichten nicht deklariert werden müssen, sondern daß es scheinbar um die selbstlose Betreuung des arbeitenden Menschen geht. Die Maßnahmen, die nur im Programm, nicht aber bei der Durchführung als Ensemble präsentiert werden, lanciert man separat wegen der angeblich damit verbundenen Vorteile für den einzelnen Arbeitnehmer. Die Gesellschaftsänderung erfolgt in homöopathischen Dosen, dafür aber um so effektiver.

Wir können sicher sein, daß die Regierung — geschickt alle in der Bevölkerung existenten Animositäten ausnützend — dieses Programm zu realisieren versuchen und — sofern keine konstitutionellen Sperrriegel existieren — im Bedarfsfalle auch ohne den Konsens der Oppositionsparteien durchziehen wird. Das Fatale an solchen Aktionen ist, daß durch sie immer mehr außerparlamentarische Macht entsteht, welche die freie demokratische Willensbildung zunehmend zur Farce werden läßt.

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