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Kindergarten der Menschwerdung

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Zunächst mag es scheinen, daß Pinchas Lapide, der jüdische Religionswissenschafter mit dem großen Anliegen einer richtig verstandenen jüdisch-christlichen Ökumene als Träger einer ganz andersgearteten Botschaft als jener von Kollek, in seine Vaterstadt Wien zurückgekehrt wäre.

Wenn man genauer hinhörte, unterschied sich die Aussage des Theologen freilich keineswegs fundamental von jener des Politikers.

Die eigentliche Ökumene, rief Lapide vor der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten in Erinnerung, umfaßte die zivilisierte Erde des Altertums, also das Land, das Juden und Christen bewohnten -unterschieden von jenem der Ungläubigen, der Irrgläubigen, der Götzendiener, der Barbaren.

Was auch heute möglich sei, charakterisierte der jüdische Theologe als eine „Bibelökumene”, die niemals zu einer Einheit des Glaubens wohl aber zu einer Eintracht der Glaubenden führen könnte.

Im „Ubermaß an Hoffnungskraft und Glaubensausdauer” würden Juden- und Christentum von keiner anderen Religion übertroffen ode*r auch nur erreicht. 2000 Jahre warten die Christen auf die Wiederkehr des Erlösers und 2200 Jahre die Juden auf die Ankunft des Messias:

„Judentum und Christentum sind Hoffnungsreligionen, die wider alle Widrigkeiten auf eine Menschwerdung der Adamskinder hoffen, obwohl wir uns noch im Kindergarten der Menschwerdung befinden.”

Diese gemeinsame Hoffnung sei für beide „Grund genug, über viele Dinge brüderlich zu streiten. Die Juden streiten, seit es sie gibt, weil der, Monolog die schlechteste Form der Wahrheitssuche ist. Aber wir streiten nur mit Freunden - mit Frem den sind wir höflich. Jesus von Na-zaret hat viele Streitgespräche mit den Pharisäern geführt, was beweist, daß sie einander nahe waren...”

Kann es nach Auschwitz überhaupt noch eine Basis für das Streitgespräch geben? Für Lapide unbedingt ja, denn „solange es Menschen gab, hat es eine Masse von Mitläufern und nur wenige Helden gegeben”. Aber auch in jener Zeit der schandbarsten Erniedrigung des jüdischen Volkes gab es „mehr Helden' der Nächstenliebe”, als wir heute rekonstruieren können.

Vielleicht war selbst der unsagbare Schrecken von Auschwitz notwendig, damit wir erkennen konnten, daß „die Vernunft ein wunderbares Werkzeug für das Erkennen der mittleren Dinge ist. Für die ersten und letzten Dinge, Tür das Woher, das Wohin und Warum, bleibt das gläubige Herz die einzig zuständige Instanz”.

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