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Der Grazer Ordinarius für Germanistik gewährt in dieser Aufsatzsammlung Einblick in sein reiches wissenschaftliches Werk. Thematisch reichen die Aufsätze von Studien zu Grillparzer über Raimund, Nestroy, Stifter und Lenau bis zur österreichischen Moderne, innerhalb der besonders Hofmannsthal gründlich behandelt wird. Wesentlich ist aber eine für Mühlher charakteristische Betrachtungsweise, die alle diese Aufsätze zu einer Einheit verbindet, eine Einheit, die mit der Feststellung des gemeinsamen örtlichen Bereiches Österreich nur unvollkommen umschrieben wird.

Mühlhers Fragestellung ist es, die diese Einheit dadurch herstellt, daß sie immer wieder auf einen ontolo-gischen Befund hinzielt, daß sie die Aussage zum Wesen und Sein des Menschen, zu Grundfragen seiner Existenz aus dem literarischen Werk herauszulesen sucht. Bei Grillparzer etwa stellt der Autor sofort fest, die Hauptfrage seiner Epoche sei die nach Willensfreiheit und Schicksalsfatalismus. Von da aus werden der Dichter und sein Werk immer im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Philosophie gesehen. Das reiche geistesgeschichtliche Wissen Mühlhers macht diese Methode besonders dadurch fruchtbar, daß immer wieder plausible und erhellende Verbindungslinien gefunden werden.

Entwicklung und Weitergabe der Ideen, der ontologischen Fragestellungen, kommen besonders in dem Aufsatz „Philosophie und Dichtung“ zum Ausdruck, der unter anderem Titel schon 1950 erschienen ist und wesentlich zu dem schon von Nadler aufgeworfenen Diskussionsthema der österreichischen Literaturgeschichte als einer Sonderentwicklung im Rahmen der deutschen Literatur beigetragen hat. Der eigene Weg des österreichischen Dichtens und Denkens gegenüber dem deut-

schen Idealismus und der Weimarer Klassik zur Frage der Bestimmung des Menschen wird hier zum ersten Male klar herausgestellt, die geradezu diametrale Auffassung Ha-merlings etwa gegenüber der Erkenntnistheorie Kants und Schopenhauers scharf herausgearbeitet, jener Ansatz im Denken des Österreichers, in dem Sein und Denken nun nicht mehr durch ihre bloße Beziehung aufeinander die einzige Antwort auf die Existenzfrage geben, sondern ein unmittelbares Seinsgefühl, das sich der kritische Idealismus versagen mußte.

In den Aufsätzen zur österreichischen Moderne führt die enge Beziehung zur gleichzeitigen Psychologie und zu Freuds Psychoanalyse zu besonders fruchtbaren Aussagen. Eine Entdeckung stellt in diesem Zusammenhang der umfangreiche Aufsatz über den Schriftsteller, Universitätslehrer und Theaterdirektor Berger als einem Phänomen der Übergangszeit dar. An Hand der denkerischen Leistung Bergers weist Mühlher nach, daß die österreichische Moderne —die Zeit Schnitzlers, Hofmannsthals und Rilkes — nicht nur einen Neubeginn darstellt, sondern auch eine Neuformung älterer österreichischer literarischer Traditionen. Auch hier setzt Mühlher neue Akzente, eröffnet er neue Ausblicke zum besseren Verständnis der österreichischen Literatur.

ÖSTERREICHISCHE DICHTER SEIT GRILLPARZER: Gesammelte Aufsätze. Von Robert Mühlher. Verlag Wilhelm Braumüller, Wien 1973. 451 Seiten.

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