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Nutzlose Bomben- Logik

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Dies wird ein Plädoyer gegen das „Gleichgewicht des Schreckens“. Genauer gesagt: gegen die These von der Notwendigkeit eines Gleichgewichts der atomaren Bedrohung als angeblich einzig wirksamen Garant für den Frieden.

Ich halte es für zutiefst menschenunwürdig, die Menschheit unter der permanenten Drohung ihrer eigenen Vernichtung leben zu lassen. Ich weigere mich, zu akzeptieren, daß dieselbe menschliche Vernunft, die auf allen Gebieten so großartige Leistungen menschlichen Geistes ermöglicht hat, daran scheitern sollte, ein wirksames, aber gleichzeitig menschenwürdiges System der Friedenssicherung zu entwickeln.

Es empört sich alles in mir dagegen, daß man schier unvorstellbare Summen in - hoffentlich nie zur Anwendung kommende — Vernichtungssysteme pulvert und gleichzeitig mit einem Ach-

selzucken Millionen Menschen dem Hungertod und Abermillio- nen dem Elend preisgibt.

Doch dies sind ethische Argumente, denen - dessen bin ich mir durchaus bewußt — in der Friedens- und Rüstungsdiskussion keine oder bestenfalls untergeordnete Relevanz beigemessen wird.

Ich meine jedoch, daß auch überzeugende „sachliche“ Argumente gegen die These von der Notwendigkeit des „Gleichgewichts des Schreckens“ sprechen. Eine These, die nachgerade zum Popanz der öffentlichen Meinung geworden ist, obwohl - oder gerade weil? - sie den „Fachleuten“ ziemlich ungeprüft abgenommen wurde.

Der Mechanismus atomarer Bedrohung tritt deutlicher zutage, wenn er, seiner hypertrophen Dimensionen entkleidet, auf ein für das menschliche Gehirin vorstellbares Maß reduziert wird. Neh-

men wir etwa den Fall an, daß politische Extremisten oder ein „gewöhnlicher“ Wahnsinniger sich in den Besitz einer Atombombe bringen und drohen, eine Großstadt — sagen wir Wien — damit zu zerstören, falls nicht bestimmte Forderungen erfüllt werden sollten.

Man kann nur inständig hoffen, daß es niemals dazu kommen wird. Doch - spielen wir den Fall trotzdem durch — was würden wohl diejenigen, die in einer solchen Situation zu entscheiden hätten, tun? Man muß kein Hellseher sein, um zu wissen, daß zweifellos schlechthin alles getan würde, um die Katastrophe zu verhindern, und daß — wenn dies

nicht auf andere Weise gelänge — der Erpressung nachgegeben würde.

Dieses—hoffentlich - nur hypothetische Beispiel zeigt sehr deutlich, daß schon eine einzige Atombombe genügt, um jeden Staat erpreßbar zu machen und zum Nachgeben zu veranlassen. Falls es tatsächlich die gegenseitige atomare Bedrohung ist, die, wie man uns sagte, den Krieg verhindert und angeblich auch weiterhin verhindern wird, dann bedarf es offensichtlich dafür keineswegs tausender, ja zehntausender Atomsprengköpfe.

Selbst wenn es besonders „hartgesottene“ und skrupellose Politiker geben sollte, die die atomare

Zerstörung einer ihrer Städte um „höherer Ziele“ willen für „verantwortbar“ halten sollten oder die vielleicht sogar Dutzende Atombombenabwürfe in ihrem Land „in Kauf nehmen“ würden — spätestens irgendwo „in den Hunderten“ hört sich wohl auch für den bedenkenlosesten Politiker die „Verantwortbarkeit“ auf. Ob mit Hunderten Atombomben oder mit Zehntausenden gedroht wird, bleibt daher letztlich für die Entscheidung zwischen Krieg oder Nichtkrieg unerheblich.

Noch ein zweites, in seinen Dimensionen „faßbares“ Beispiel kann den Unsinn der derzeitigen atomaren Uberrüstung einsichtig machen: Ein Mensch, der eine Pi

stole trägt, erlangt dadurch ein gewisses Maß an Sicherheit gegen fremde Bedrohung. Seine Sicherheit erhöht sich möglicherweise, wenn er ein Pistolenhalfter mit zwei Waffen - für jede Hand eine - trägt. Doch er gewinnt nichts an Sicherheit dazu, wenn er fünf Pistolen besitzt.

Die gleiche Situation ist auf dem Gebiet der atomaren Bedrohung durch die sogenannte „Overkill-Kapazität“ der beiden Supermächte gegeben. Sie sind imstande, einander und mit ihnen die ganze Erde zwanzigfach (!) auszulöschen.

Was nützt die schönste Overkill-Kapazität, wenn für neun Zehntel dieser Waffe im Ernstfall nichts mehr da ist, das man damit vernichten könnte?

Daraus folgt: Der weitaus überwiegende Teil der schon heute gelagerten Atomwaffen ist auch unter den Gesichtspunkten militärischer Logik überflüssig, weil militärisch nutzlos, und daher auch durchaus verzichtbar. Und weiter: Schon ein kleiner Teil der vorhandenen Waffen erzielt das höchstmögliche Maß an Abschreckung, weil er für die vollständige Vernichtung des Gegners genügt.

Selbst wenn man aus „Sicherheitsgründen“ eine zwei-, soll sein: dreifache Overkill-Kapazität konzediert, könnte doch bis zu dieser Grenze abgerüstet werden, ohne daß die Abschreckungswirkung geringer würde.

Es ist daher sicherheitspolitisch weitgehend irrelevant, ob eine Seite auf weitere Rüstung verzichtet und die andere nicht, ob eine Seite — bis zu der erwähnten Grenze - abrüstet und die andere nicht, j a sogar, ob eine Seite abrüstet und die andere aufrüstet!

Wenn man dieses Prinzip einmal akzeptiert, ist die These von der Notwendigkeit eines „Gleichgewichts des Schreckens“ obsolet geworden und damit der Teufelskreis des Raketenzählens und gegenseitigen Nachrüstens durchbrochen.

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