6823777-1974_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Öl - und Moral

19451960198020002020

Wieviel an der Behauptung, die Araber hätten das öl als politische Waffe entdeckt, richtig ist, wird sich noch erweisen müssen. Vorerst ist die Vermutung erlaubt, daß die für arabische Verhältnisse erstaunlich geschlossene Anwendung dieser Waffe in einen sowjetischen Plan gehört und vom Kreml mit gehörigem Druck erreicht worden ist. Dafür spricht unter anderem die Promptheit, mit der Moskau die Preise für die an arabische Länder zu liefernden Waffen drastisch erhöhte, als sich der ägyptische Anfangssieg in eine drohende arabische Niederlage zu verwandeln begann* föocnbürokratische Systeme wie die Sowjetunion sind in der Regel außerstande, solche Entschlüsse kurzfristig zu fassen, es sei denn, sie seien schon vorgeplant.

19451960198020002020

Wieviel an der Behauptung, die Araber hätten das öl als politische Waffe entdeckt, richtig ist, wird sich noch erweisen müssen. Vorerst ist die Vermutung erlaubt, daß die für arabische Verhältnisse erstaunlich geschlossene Anwendung dieser Waffe in einen sowjetischen Plan gehört und vom Kreml mit gehörigem Druck erreicht worden ist. Dafür spricht unter anderem die Promptheit, mit der Moskau die Preise für die an arabische Länder zu liefernden Waffen drastisch erhöhte, als sich der ägyptische Anfangssieg in eine drohende arabische Niederlage zu verwandeln begann* föocnbürokratische Systeme wie die Sowjetunion sind in der Regel außerstande, solche Entschlüsse kurzfristig zu fassen, es sei denn, sie seien schon vorgeplant.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Rechnung geht ja auch vortrefflich auf. Die Kapitalisten verhalten sich genau nach Lenins Prognose, sie reißen sich geradezu darum, wer die Stricke liefern darf, an denen sie der Reihe nach aufgehängt werden sollen. Die ölproduzenten (von denen keiner, wäre er sich selbst überlassen geblieben und nicht unter das kolonialistische Joch gezwungen worden, einen Tropfen öl produzieren könnte) setzen ihrerseits die Preise hinauf, und zwar gleich kräftig, weil sie ohnehin jeden Preis bekommen können, um die erhöhten Rechnungen aus Moskau bezahlen zu können. Der Kreml benutzt die starke politische Position gegenüber Bonn, die er auf Grund Brandtscher Oreanda-Begeisterung und vermittels der miserabel ausgehandelten Verträge heute besitzt, um weitere Milliarden guten Westgeldes in die Hand zu bekommen. Gleichzeitig werden gigantische Erdgaslieferungen verhelften, wenn wir uns nur hübsch brav verhalten.

Man kann nach dem bisher von der Regierung Brandt/Scheel gezeigten Illusionismus in Sachen Ostpolitik kaum noch die Hoffnung hegen, daß sie dieses Spiel der Sowjets durchschauen und daraus die nötigen Konsequenzen ziehen werde. Denn wenn etwas gewiß ist, dann die Absicht der Sowjetunion, die Energiepanik, von der die Kapitalisten derzeit ergriffen sind, gründlich auszunutzen. Am liebsten wäre es dem Kreml, wenn der noch nicht kommunistisch regierte Teil Buropas an einem System von Erdgaspipelines hinge, dessen Bedienung von der Sowjetunion gesteuert werden könnte. Wie solche Schaltungen funktionieren, wissen wir aus der langen und bitteren Geschichte der Berlin-Krisen gut genug. Die europäischen Staaten wären der Sowjetunion auf Gnade und Ungnade ausgeliefert; es gäbe nicht einmal einenlfi^Lder aus innenpolitischen Q^pWSZäK der Boykott-Front ay^äch&^jÄff kein Persien, das sich standhaft weigert, sich als Instrument der Moskauer Strategie gebrauchen zu lassen.

Pläne dieser Art können Bewunderung abnötigen. Sie haben freilich auch die lästige Eigenschaft, Gegenwirkungen auszulösen, die ihre perfekte Durchführung verhindern. So ist es nicht ausgeschlossen, daß die Verschwörung zwischen der Sowjetunion und den arabischen Staaten Kräfte weckt, die nicht einkalkuliert waren und dem Ganzen eine planwidrige Richtung geben. Bisher ist das allerdings nur eine Hoffnung. Was die Regierungen der betroffenen Länder, vor allem Japan und Frankreich an der Spitze, an den Tag gelegt haben, ist eine Krise der moralischen Energie, die der materiellen Energiekrise zumindest entspricht. Auch Bonn hat wieder einmal eine Instinkt- und Würdelosig-keit gezeigt, die ihm den dritten Platz in der negativen Weltrangliste sichert.

Die Hoffnung ist vorerst weniger bei den Regierungen zu suchen, die mit den alten faulen Methoden der Bagatellisierung und Selbstberüh-mung weiterwursteln, als bei den Völkern, die den Zorn ihrer selbsternannten Präzeptoren erregen, weil sie hamstern (nach zwei Weltkriegen und mehreren Reinfällen auf Politikerzusagen kein Wunder),, die aber in ihrer Haltung gegenüber dem Unvermeidlichen eine Gelassenheit und Einsicht bekunden, die man getrost erstaunlich nennen darf. Erstaunlich vor allem, wenn man vergleicht, für wie wenig belastbar, uneinsichtig und komfortbesessen die Politiker eben diese Völker einzuschätzen scheinen.

Noch artikuliert sich das neue Grundgefühl spärlich und unbeholfen. Aber das mag sich rasch ändern. Wie das Erscheinen des ersten künstlichen Himmelskörpers die amerikanische Szene verändert hat, weil niemand den Russen eine solche .Leistung zugetraut hatte, so wird vielleicht auch ein „Ölscheich-Effekt“ eintreten, der ein gründliches Umdenken bewirkt. Der Schock der Erkenntnis, daß wir uns in die Abhängigkeit von Erpressern begeben haben, sollte dazu eigentlich ausreichen.

Es geht schlicht darum, daß wir uns prüfen, wieviel unsere Freiheit uns wert ist, ob wir Einschränkungen und sogar Opfer in Kauf nehmen wollen, um diese Freiheit zu behaupten, ob wir der Spirale des Hinauflizitierens von Forderungen aller Gruppen Einhalt gebieten, um uns gemeinsam aus der Lage ständiger Erpreßbarkeit zu befreien, selbst wenn zahllose Reformsprüche, Lebensqualitätgeschwätz und Anspruchsbegründungen ad acta gelegt werden müssen, ob wir alle uns entschließen, über den Sinn von Arbeitszeitverkürzungen, Freizeit-venmehrung, Ausländerbeschäftigung usw. rational zu diskutieren, ob wir (Boll mag das verzeihen) das Ende der Unbescheidenheit einleiten, die uns den Irrtum beschert hat, mit uns könne es nur roch aufwärts gehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung