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Schritt in die Freiheit

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Ernüchternd stellen viele DDR-Bürger fest, wie stei- nig der Weg in ein markt- orientiertes System ist (S. 3). Lothar de Maiziere setzt in einem neuen Buch weiter auf Soziale Marktwirtschaft.

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Ernüchternd stellen viele DDR-Bürger fest, wie stei- nig der Weg in ein markt- orientiertes System ist (S. 3). Lothar de Maiziere setzt in einem neuen Buch weiter auf Soziale Marktwirtschaft.

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Trotz aller Erfolge und relati- ver Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft gegenüber sozia- listischen Planwirtschaften beste- hen zum Beispiel für die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepu- blik Deutschland deutliche Verbes- serungsmöglichkeiten und -not- wendigkeiten. Dies gilt insbeson- dere in den Bereichen der Beteili- gung der Arbeitnehmer am Pro- duktivkapital ihrer Unternehmen beziehungsweise anderer Unter- nehmen, der Abwehr der Wettbe- werbsbeschränkung durch Mono- polisierungund Kartellbindung, der Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei wichtigen Entscheidungen in den Unternehmen und bei der wei- teren Verbesserung des sozialen Netzes. Vor allem aber muß es durch eine Veränderung und eine Verbes- serung des Wirtschaftssystems der Sozialen Marktwirtschaft erreicht werden, daß die Umwelt in wesent- lich größerem Maße als bisher ge- schützt wird. In beiden Staaten- gruppen - den marktwirtschaftli- chen wie den sozialistisch-plan- wirtschaftlichen - muß das Wirt- schaftssystem reformiert und ver- bessert werden. Die Realisierung einer Öko-Sozialen Marktwirt- schaft sollte in beiden Staatengrup- pen das gemeinsame konkrete poli- tische Ziel sein."

Das statuieren Lutz Wicke und Thomas de Maiziere in einem kürz- lich erschienen Buch". Die beiden Autoren repräsentieren die (noch) beiden Deutschland: Lutz Wicke ist Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt, Volk.swirt- schaftsprofessor an der Techni- schen Universität Berlin und Mit- glied des Landesyorstandes der CDU Berlin, Thomas de Maizere ist Pressesprecher der Berliner CDU. Zuvor war er Leiter des Grundsatz- referates in der Senatskanzlei des Landes Berlin. Lothar de Maiziere, der (letzte) Ministerpräsident der DDR, erläutert die Öko-Soziale Marktwirtschaft als wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Leit- bild der DDR-CDU.

Damit haben die Autoren nicht nur für die DDR eine eigene Note gesetzt, sondern auch festgestellt, daß auch die Ordnungspolitiker der westlichen Länder insoferne stän- dige „Systemveränderer" sind, als zwischen der theoretischen Kon- zeption und der politischen Real- verfassung der Gesellschaft in ein- zelnen wichtigen Bereichen eine Diskrepanz und damit Handlungs- bedarf besteht.

Dabei stellen die Autoren des „Wirtschaftssystems für alle öko- logisch, sozial und marktwirt- schaftlich orientierten Kräfte in Ost und West" ebenso nüchtern fest, daß der Reformfortschritt von der Sozialen zur Öko-Sozialen Markt- wirtschaft - so wichtig und ein- schneidend er sein wird und sein muß - „natürlich" sehr viel kleiner sein wird als der Schritt vom sozia- listisch-planwirtschaftlichen Sy- stem zur Öko-Sozialen Marktwirt^ schaff.

Ausgangspunkt für ihre Alterna- tive ist das Scheitern aller Varian- ten des Sozialismus, von denen es angesichts der zahlreichen vergebe liehen Reformversuche „minde- stens doppelt soviele gibt wie so- zialistische Staaten": In allen so- zialistischen Wirtschaftssystemen wird durch das Fehlen des Privat- eigentums an Produktionsmitteln und durch die zentrale Planung bei Fehlen von freien Marktpreisen verhindert, daß die stärkste Kraft jeder Wirtschaftsordnung - das Gewinn- und Eigennutzstreben aller Menschen - für eine Steige- rung des an alle zu verteilenden Nationaleinkommens beziehungs- weise des „Bruttosozialproduktku- chens" in Form von Waren und Dienstleistungen eingesetzt wird. Wenn es aber nur wenig zu vertei- len gibt, dann müsse ein sozialisti- sches Wirtschaftssystem fast zwangsläufig jedem (marktwirt- schaftlichem) System unterlegen sein, das wegen der höheren Effi- zienz schlicht und einfach mehr verteilbaren „Kuchen" hervor- bringt.

Das sozialistische System versagt auch in seinem Gleichheitsziel: „Was nützt die schönste sozialisti- sche Gleichheit aller", meinen die Autoren, wenn - außer an die füh- renden Genossen - an alle anderen gleich viel „sehr wenig" (zum Bei- spiel die Rentner) bis „wenig" ver- teilt werden kann? In einer nach dem Leistungs- und Gewinnprin- zip arbeitenden Marktwirtschaft können sich hingegen einige „viel", wenige „sehr viel" erarbeiten, aber die große Masse hätte dann immer noch „ausreichend bis mehr als genug". Außerdem werde durch das Soziale Netz in der Sozialen Markt- wirtschaft die Anzahl der wirklich Armen und in Not befindlichen auf ein sehr geringes Maß begrenzt. Sie ziehen daraus die Konsequenz: „Marktwirtschaftliche Systeme bieten zwar - leider - keine Gleich- heit, dafür aber eine weitgehende Freiheit von Mangel und Armut und des weiteren Wohlstands für (fast) alle!"

Mit diesem Vergleich zwischen den sozialistischen und den markt- wirtschaftlichen Systemen - vor allem in Europa - wollen die Auto- ren nun keineswegs dem Leser die Konsequenz aufdrängen, daß die sich reformierenden RGW-Staaten „nur" die marktwirtschaftlichen Systeme, zum Beispiel das der Bundesrepublik Deutschland über- nehmen sollten, um damit den Weg ins wirtschaftliche „Paradies" zu ebnen.

Tatsächlich finden die nach Al- ternativen Ausschau haltenden neuen Verantwortlichen in den postkommunistischen Ländern im Westen nur unter eine sehr groben Brille eine zementierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vor: Gleichzeitig mit ihrer Sozialrevo- lution ist auch in der übrigen Welt ein stärker sozial-marktwirtschaft- lich orientierter ordnungspoliti- scher Zug angefahren, in den west- lichen Industrieländern wie auch in mehreren erfolgversprechenden Entwicklungsländern.

"Lutz Wicke, Lothar de Maiziere, Thomas de Maiziere: Öko-Soziale Marktwirtschaft für Ost und West - Der Weg aus Wirtschafts- und Umweltkrise. Verlag C. H. Beck, München 1990.

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