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Speerspitze Frankreich
„Frankreich muß die Speerspitze der europäischen Kultur bleiben", forderte der Gaullist Jacques Chirac im Wahlkampf. Jetzt, da seine RPR, zusammen mit den Liberal-Konservativen Valery Giscard d'Estaings, mit mehr als 40 Prozent eine haushohe Mehrheit in der französischen Nationalversammlung hat, kann er sein Ziel verwirklichen. Die Frage ist, ob die neue Regierung in der Lage sein wird, eine Alternative zur sozialistischen Kulturpolitik zu verwirklichen, die zwölf Jahre lang von Jack Lang geprägt wurde.
Die Sozialisten wurden bei den Wahlen am vergangenen Sonntag fast halbiert (20 Prozent der Stimmen), und die Frage ist berechtigt, was Jack Längs Kulturpolitik der Partei gebracht hat. Ging es ihm doch um einen neuen Kulturbegriff, der auch die Freizeit einbezog, um eine Popularisierung der Hoch- zur Allgemeinkultur, um die Einbeziehung der städtischen Subkultur und so weiter. Jack Lang fand nichts dabei, den „Rambo"-Darsteller Sylvester Stallone mit der „Medaille des Arts et Lettres" auszuzeichnen.
Die Konservativen werfen dem medienbewußten Kulturminister schon lange vor, daß er einen Ausverkauf aller Werte betreibe. Aber jetzt ist auch Kritik von links gekommen. Michel Schneider hat einen Bestseller geschrieben: „La Comedie de la Culture" und wirft Lang nicht nur vor, daß
Kulturpolitik vor allem für die Medien gemacht wird - sie habe auch nichts verändert, behauptet Schneider: Seit 1973 sei die Zahl der Leute, die ins Theater gehen, das Museum besuchen oder Bücher lesen, gleich geblieben.
Wenn das wirklich so wäre, dann wird sicher jetzt auch in Frankreich das Kulturbudget beschnitten. In Deutschland warnen Kulturpolitiker, wie der langjährige Kulturdezement der Stadt Frankfurt, Hilmar Hoffmann, vor einer solchen „falschen Politik".
Viereinhalb Seiten lang begründet Friedrich Sieburg in seinem Buch „Gott in Frankreich?" (erstmals erschienen 1929), warum er über Frankreich schreibt. Er beginnt so: „Weil ich dem Fortschritt der Ideen vor der Idee des Fortschritts den Vorzug gebe, weil ich noch einmal den Atem anhalten und verweilen möchte, ehe die Welle mich der alten Welt entreißt und jenem Schicksal zuschleudert, das mich aus einem Genießer in einen Konsumenten verwandelt..."
Die französischen Sozialisten sind den Weg des Fortschritts und des Konsumismus mit weitausgreifenden Schritten gegangen. Sieburgs „Atem anhalten" dürfte auch unter der neuen Regierung nicht gefragt sein. Am ehesten aber ist trotz allem noch von den Franzosen eine Antwort auf die Frage zu erwarten, was das eigentlich ist, wovon sie die Speerspitze bleiben wollen.
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