Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Verstaubter Nußknacker
Wir haben die Werkgeschichte dieses dritten und letzten großen Balletts von Tschaikowsky in der Vorankündigung von „Der Nußknacker“ bereits ausführlich kommentiert. Die von E. Th. Hoffmann erfundene, von Alexander Dumas pere nacherzählte und von Petipa choreographierte Geschichte hat immer neue Varianten erfahren. Die letzte uns bekannte stammt von Juri Grigorowitsch und wurde 1961 fürs Moskauer „Bol-schoi-Ballett“ angefertigt. Diese Fassung sahen wir nun als Ballettpremiere der ersten Saisonhälfte an der Wiener Staatsoper, zunächst mit zwei brillanten russischen Gästen in den Hauptrollen: Natalia Bess-mertnova als Marie und Michail Lawronski als Prinz Nußknacker. Beide zeigten jenen hohen Standard, den man sich von den Moskauer Tänzern erwartete und der entsprechend gefeiert wurde. Aber die Ausstattung von Simon Wirsaladse? Der Unglückliche konnte sich nicht entscheiden, ob er für Kinder oder für Erwachsene malt Diese Unent-schlossenheit liegt natürlich bereits im Regiekonzepts Grigorowitschs.
Allenfalls gab die so überaus ballettgerechte Musik Tschaikowskys Anlaß zu monatelangem strengem Training und zu einer Reihe teils brillanter, teils nur solider Produktionen unserer Solisten Ludwig
Musil, Peter Kastettk und mehrerer Nebenrollenträger. Am erfreulichsten die Solotanzpaare Judith Gerber I Heinz Heidenreich, Elisabeth Möbius I Georg Dirü, Rosemarie Stadelbacher I Oswald Haderer, Erika Zlocha I Herbert Witsch, Christine Eisinger I Günther Falusy.
Für sie schrieb Tschaikowsky seine schönsten Ballettnummern, die Stefan Soltesz am Pult sorgfältig betreute. — Diese ganze Partitur einmal vollständig zu hören, bot Gelegenheit zu einem seltenen Genuß. Einmal, vor etwa zehn Jahren, bei einem Gastspiel der Basler im Rahmen der Berliner Festwochen, wurde sie ebenfalls ungekürzt gespielt. Nach der überaus gelungenen Premiere sagte mir der namhafte Pariser Kritiker Antoine Golea, der ein bekannter Hasser des Strawinsky der russischen und neoklassizistischen Periode ist, triumphierend: „So, nun haben Sie endlich einmal mit eigenen Ohren gehört, wo ihr Idol Strawinsky seine schönsten Melodien her hat!“ Über diese Bemerkung hätte sich Strawinsky bestimmt nicht geärgert, denn er bekannte sich zeit seines Lebens zur Tradition — und speziell zum russischen Klassizismus westlicher Prägung, wie ihn Tschaikowsky verkörperte...
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!