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Was ist „Manipulation”?

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In dem übersichtlich gegliederten Werk geht es Häring um ein besseres „Verständnis der Manipulation” in ihren modernen Formen und um die sittlichen Kriterien ihrer Beurteilung. Sein besonderes Interesse gilt (im 2. Hauptteil) der Manipulation auf den Gebieten der Medizin, der Verhaltenstechnologie, der Gehirnforschung und der Genetik. Dabei gelingt es dem Verfasser durchaus, dem Leser einen gewissen Überblick über die Vielfalt der legitimen und illegitimen Formen der Manipulation zu vermitteln. Wer sich über das eine oder andere Problem ausführlicher informieren will, findet in den Fußnoten reiche Literaturhinweise, besonders auch aus dem amerikanischen Raum. Unvermeidlich bringt die Beschäftigung mit diesem Themenkreis immer wieder schockierende Tatsachen zur Sprache; und vielleicht besteht sogar ein guter Teil der Bedeutung dieser Studie darin, manche aufrüttelnde Informationen weiterzugeben, wie über die in den USA praktizierte „selektive Abtreibung”. (Dabei wird das Geschlecht des Embryos festgestellt, um danach über Erhaltung oder Abtreibung der Schwangerschaft zu entscheiden. Der Bezug zu dem, was auch in Österreich schon Realität ist, liegt auf der Hand; S. 226.) Unter Berufung auf die fundamentalen Prinzipien der christ- lich-humanistischen Weitsicht, wie Freiheit, Menschenwürde, Grundrechte, Selbstverwirklichung, zieht Häring gegen derartige Ungeheuerlichkeiten vehement zu Felde. Er wird nicht müde, das materialistisch-de- terministische Menschenbild eines Forschers wie Skinner anzuprangern, der den Menschen nach dem Modell von Versuchsaffen oder -ratten beurteilt und manipuliert.

Hier liegt aber zugleich auch die ent- scheidende Schwäche des Buches: Denn H. erhebt zwar die Forderung nach „sorgfältig erarbeiteten Kriterien” der Beurteilung (S. 228) und weiß sehr wohl um die Wichtigkeit der Frage nach der Natur des Menschen und ihren Sinnzielen, aber das Versprechen, diese Kriterien zu erstellen, wird nirgends eingelöst. Auch in jenen Kapiteln, in denen der Verfasser die Klärung dieser Grundlagen ausdrücklich in Aussicht stellt, begnügt er sich letztlich mit vagen, allgemeinen Prinzipien und einer fast ermüdenden Wiederholung seiner Ideale, die kaum jemand bestreiten dürfte. Sachlich ist damit allerdings wenig gewonnen; man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein Teil seiner Antworten eher persönliche Auffassungen eines gesunden Hausverstandes wiedergeben denn wissenschaftlich solide Resultate - auch wenn ruhig angenommen werden darf, daß viel Sachwissen dahintersteckt. Unangenehm berührt es den Leser indes, wenn Häring - während er unablässig einen offenen,’ ehrlichen, toleranten-und ehrfürchtigen Dialog mit Andersdenkenden fordert - ausgerechnet mit Katholiken scharf ins Gericht gehen zu dürfen glaubt: den einen spricht er die fundamentalsten sittlichen Grundhaltungen ab (S. 60), anderen wirft er Legalismus vor (S. 139), oder er gibt die von ihm inkriminierten Positionen in einer entstelltrnaiven Form wieder (S. 122). Manche seiner Gedankengänge bleiben auch einfach unklar und uneinsichtig, so wenn er den Moralisten empfiehlt, die „moralischen Überzeugungen vernünftiger Leute sorgfältig in Betracht zu ziehen”, um dann im gleichen Atemzug eine amerikanische Meinungsumfrage zu zitieren - etwa als Beleg für die „moralische Überzeugung vernünftiger Leute”? Und dies im Wissen um die Manipulierbarkeit gerade von Meinungsumfragen! (S. 51)

Als ausführliche Materialsammlung und Einführung in die Gesamtproblematik heutiger technisch-medizinischer Möglichkeiten ist die Arbeit dennoch zu würdigen, auch dann, wenn sie keine befriedigende Hilfe bietet bei der Ausschau nach jenen Grundlagen und Kriterien sittlicher Beurteilung, die eine Bewältigung der modernen Probleme rund um die Gefährdung des Menschen durch die Manipulation gewährleisten könnten. Aber es ist auch ein Verdienst, die Frage in ihrer Dringlichkeit gestellt zu haben.

ETHIK DER MANIPULATION. Von Bernhard HÄRING. Verlag Styria, Graz, 1977, 268 Seiten, öS 250,—.

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