Moraltheologie, die heilt

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B. Häring: Christliche Moral muß auf Gottes Wort hören, ebenso aber auf die Zeichen der Zeit.

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B. Häring: Christliche Moral muß auf Gottes Wort hören, ebenso aber auf die Zeichen der Zeit.

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Das Evangelium vom Frieden verkünden": Darin sieht der voriges Jahr verstorbene Moraltheologe Bernhard Häring eine der zentralen Aufgaben einer Moraltheologie für das dritte Jahrtausend - angesichts des Kosovo-Krieges tragischerweise auch in Europa wieder ein aktuelles Thema.

Für den Redemptoristen Häring, der sich zeitlebens für Dialog und Frieden zwischen den Völkern und Religionen eingesetzt hat, könnte der christlichen Moral dabei eine besondere Stellung zukommen: allerdings nur einer Moral, die auch konkret gelebt wird und vor jeder moralischen Gesetzgebung alle Menschen als von Gott geliebt versteht.

Mit dem vorliegenden, 1990 erstmals veröffentlichten Buch liefert Häring Grundlagen einer Moraltheologie, wie sie nun nicht wirklich neu, aber in der katholischen Kirche noch immer nicht verwirklicht sind. Härings Aufruf: Christliche Moral ist keine Richterin über das Leben der Menschen - vielmehr ist sie "Heilsinstrument". Sie soll zuallererst von Gottes Güte und Liebe künden; denn alle Tugenden sind nichts wert ohne den "Mantel der Barmherzigkeit".

Häring richtet sich mit diesem Appell an Laien und Klerus gleichermaßen und macht darauf aufmerksam, daß jede christliche Moral immer zuerst "tief und ernsthaft hören" muß: auf das Wort Gottes ebenso wie auf die Zeichen der Zeit, auf die Überlieferung und auf die Armen. Erst dann darf sie zu sprechen beginnen - und all ihre Imperative sollten dabei tröstenden Charakter haben. Moral bedeutet eben nicht Gesetz und Gehorsam, sondern vertraut auf den Verantwortungssinn und das Unterscheidungsbewußtsein des Menschen, also auf sein Gewissen. Hauptkriterien dafür, ob die christliche Moral in ihrer Praxis gelingt, sind die Armen und die "Gegner" der Kirche: Gelingt es, sie die befreiende Liebe Gottes spüren zu lassen?

Da das persönliche Gewissen bei Häring eine zentrale Rolle spielt, hat das auch Folgen für das Verständnis von Sünde: Sünde - als unverzichtbarer theologischer Begriff und als reale Lebenwirklichkeit - ist nicht so sehr die einzelne Verfehlung. Was zählt, ist die sogenannte "Grundentscheidung", die den tiefsten Ausdruck einer Person darstellt; es geht darum, ob der einzelne Mensch ein prinzipielles Ja zu Gott, zum Leben und zu den Menschen sagt - oder ob er dies verweigert. Dabei kann der Mensch sein Wesen verwirklichen, aber auch verfehlen: und das heißt sündigen. Einer der großen Beweise für die Ursprünglichkeit dieser Option (Anmerkung: ein Prüfstein auch für alle, die in der Kirche mitarbeiten): Wieviele Menschen suchen unsere Unterstützung und Liebe? Christliche Moral soll dabei helfen, dieser Grundentscheidung einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen - und kann so den Menschen "in das Reich der heilenden Liebe und Gewaltfreiheit" und in die "Freiheit der mutigen Verantwortung für andere" führen.

Es geht also nicht darum, Gesetze einzuhalten, sondern das Evangelium leben zu können und zu wollen. Eine solche Moraltheologie heilt und läßt Freiheit, besser: läßt den Menschen reifen.

Das jetzt vom Styria-Verlag wieder aufgelegte Buch des großen Theologen ist das Zeugnis eines überzeugten Christen, der glaubwürdig für seine Religion eintritt und uns damit sein Credo und die Vision einer Welt vorlegt, die sich von Christus geliebt weiß. Engagiert, voll Leidenschaft und dennoch im Ausdruck schlicht, läßt das Buch zugleich auch den Menschen Häring sehen, der sich den Fragen der Zeit ebenso stellt wie er seine katholische Überlieferung liebt. Respekt verlangt einem auch die Haltung eines greisen Kirchenmannes ab, der auch in seinem letzten Werk noch bereit ist, eigene Ansichten der Kritik und Veränderung zu unterziehen. Um es mit einem altmodischen Wort auszudrücken: ein wirkliches Vorbild! Und zugleich ein hoffnunggebendes Vermächtnis, dessen Gedanken darauf warten, in die Tat umgesetzt zu werden.

Moraltheologie für das dritte Jahrtausend. Von Bernhard Häring. Verlag Styria, Graz 1999, 192 Seiten, geb. öS 218,-/e 15,84

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