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Ethik ohne Moralin

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Rein kirchenrechtliches oder moralinsaures Denken war dem großen deutschen Moraltheologen Bernhard Häring, der unlängst sein Goldenes Priesterjubiläum feierte, immer fremd.

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Rein kirchenrechtliches oder moralinsaures Denken war dem großen deutschen Moraltheologen Bernhard Häring, der unlängst sein Goldenes Priesterjubiläum feierte, immer fremd.

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Wirmüssen uns wohl klarmachen, daß sich die katholische theologische Ethik (Moraltheologie) in der jetzigen Zeit in einer schwierigen Lage befindet. Sie, die nach bestem Können versucht, den menschlichen Verantwortungsbereich vom Glauben an Jesus Christus her für die heutige Situation auszulegen, sieht sich vor einer zweifachen Schwierigkeit. Einerseits haben immer mehr Menschen aufgrund von Erfahrungen, oder Mißverständnissen oder Verweigerung - das im einzelnen zu beurteilen, steht uns nicht zu und ist uns auch nicht möglich - der Moralverkündigung der Kirche den Rücken gekehrt, eben jener Moral-

Verkündigung, die systematisch zu reflektieren und zu fördern der Moraltheologie aufgegeben ist. Andererseits sieht sich die Moraltheologie in manchmal nicht geringen Schwierigkeiten, was ihre innerkirchliche Stellung und die Akzeptanz mancher ihrer Arbeiten beim kirchlichen Amt betrifft. Die so in einer zweifachen Spannung stehende Moraltheologie hat zudem den Ruf, eine unerfreuliche,bedrük- kende Sache zu sein, die es besser gar nicht gäbe.

Dies also ist die theologische Disziplin, derBernhardHäring sein Lebenswerk gewidmet hat - wie man hören kann, im Gehorsam gegen seine damaligen Obern mehr als aus eigener Neigung.

L Ein erster Gesichtspunkt: Wie wenige Theologen hat die Moraltheologie Härings für viele Menschen, die ihr begegnet sind, eine Befreiung von den Fesseln des Legalismus und der Kasuistik sowie des Kirchenrechts gebracht. Um ein Mißverständnis auszuräumen: es geht hier nicht darum, „gegen das Kirchenrecht“ zu sein. Das wäre entweder Unfug oder Romantik. Aber es geht sehr wohl darum, das Kirchenrecht als ein dienendes Mittel, nicht als Grundprinzip des Kircheseins zu sehen. Wer während seiner Ausbildung noch den sogenannten Handbüchern des lateinischen Typs und deren fleißig gearbeitetem, handlichen deutschsprachigen Ableger, dem „Jone“ - begegnet ist, der weiß, welche Rolle das Kirchenrecht als Quelle (nicht etwa als eine Konkretion) christlicher Lebensrichtlinien gespielt hat.

Hier haben wir Häring vielzu danken. In einer Zeit, die in manchem wieder restaurative Züge trägt, und in der man wieder wer ist, wenn man Kirchenrecht studiert hat, hat Bernhard Häring mit seiner Sicht der Moral mit dafür gesorgt, daß sich nicht alles noch einmal wiederholt. Häring lehrt uns, daß moralisches Handeln wirklich tiefer reicht als Einhaltung von Rechtsnormen; daß diese unter einem mehrfachen Vorbehalt stehen. Dieser erwächst einerseits aus der unleugbaren Geschichtlichkeit ge- satzter Normen und daraus, däß sie dem Gemeinwohl dienlich sein müssen, andererseits aus der Würde des subjektiven Gewissens. Wie befreiend Häring hier gewirkt hat, mag man daraus ersehen, wie erlösend angesichts der Gewissensängste, die von den Moralisten produziert worden waren, für viele Priester seinerzeit sein Aufsatz über die Art der Brevierverpflichtung geworden ist.

Nun genügt ja Freisein von Beengungen allein nicht. Jene Befreiung kam bei Häring ja von einem positiven Grund her. Die biblische Orientierung wirkt sich hier aus; sie wird sich für Häring immer wieder als prägend erweisen. Gleichzeitig wird damit auch schon die Frage nach einer Öffnung der eng gezogenen fachlichen Grenzen der Moraltheologie gestellt.

2. So ist der zweite Gesichtspunkt von Härings theologischem die Öffnung der Grenzen der Moraltheologie. Es gibt zunächst eine bewußte und konsequente, die Exegese voll einbeziehende Öffnung zur Schrift hin. So sagt man denn auch, jener Passus des Konzilsdekretes über die Priesterausbildung, welcher Moraltheologie aufträgt, sich biblisch prägen zu lassen, gehe auf Häring zurück. Hier hätte Pater Häring in seinem Wirken voll das verwirklicht, was der Konzilstext von der Moraltheologie erwartet und wünscht.

Es gab aber daneben, eigentlich von Anfang an, gleichzeitig, und immer weiter ausgebaut, eine Öffnung zur Pastoraltheolögie hin. Hier erweist sich Häring als ein treuer Sohn seines Ordensgründers. Dieser zählt wohl aus zwei Gründen vielleicht nicht zu den ganz Großen der theologischen systematischen Spekulation: weil er zeitgemäß war, und weil er kein Schreibstubentheologe war, sondern um der Seelsorge, also um der Menschen willen, Theologie trieb. Auch bei Häring zeigt sich der ständige Rückbezug zur Seelsorge und zu deren theologisch denkerischen Durchdringung, der Pastoraltheologie. Es erscheint dann nur folgerichtig, daß Bernhard Häring sein Interesse, sein Studieren und sein Einbeziehen in die theologische Aussage auch auf Felder der Humanwissenschaft ausdehnt.

Schließlich macht sich in seinem Arbeiten immer stärker ein Verlassen des gewohnten, bis vor ein paar Jahrzehnten unschuldig für selbstverständlichgenommenen eurozentrischen Denkens bemerkbar. Hierhin gehört auch das sichere Gespür, das ihn schon sehr früh die Bedeutung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ahnen ließ.

3. Diese Erweiterung des Blickfeldes und die Öffnung zu anderen Wissensdisziplinen hin werden mm allerdings auf einer Grundausrichtung fundiert, ohne die sie leicht zum Ausufem hätten führen können, die ihnen aber erst ihr eigentliches Profil gibt. Dies ist der Gesichtspunkt, den ich als dritten neimenmöchte: die Zentrierung auf die christliche Mitte hin. Sowohl von seinem theologischen Temperament her als auch von seinen ihn prägendenlmpulsenherbefandsich Bernhard Häring wohl nie in der Gefahr, über dem aktuell Drängenden methodisch und in der Schwerpunktsetzung die Unterscheidung des Christlichen zu übersehen. Sein theologisches Arbeiten war, bis in den Stil hinein, in dem er fühlt, denkt und schreibt, immer sehr spirituell geprägt

4. Der vierte Gesichtspunkt betrifft Härings Moraltheologie als eine neue Sicht der Moraltheologie und der Moral überhaupt. Manmuß sich nur einmal fragen, welches Gottesbild die Theologen oft hatten und dann den Menschen sagten. Tatsächlich gibt es ja auch dies: Gott als den Schrecklichen zu sehen, der kaum zu besänftigen ist; wo es gilt, diesen Gott durch Opfer und Ritus immer wieder zu beschwichtigen, ihn, dessen Wohlwollen zweifelhaft ist, der den schwachen Menschen im Grunde nicht mag, der vielleicht mit äußerster, moralisch-ritueller Bemühung und unter Einschaltung Marias und der Heiligen vom Schlimmsten abzubringen ist.

Ginge es dann also um einen Gott, der Gehorsam lieber will als Opfer? Den Gott, der zuerst zu sehen sei als Gesetzgeber, der dann zum Gesetzeswächter wird? Nein, auch dies ist nicht der Gott Jesu; dies ist nicht das Gottesbild unter den gewiß vorhandenen verschiedenen Gottes- bildem im Alten Testament, dem Jesus Gültigkeit gibt (womit er andere Ansätze ausscheidet oder relativiert).

Daß Häring mit seiner Moraltheologie hier ein Nein spricht, das ist ein Beitrag. Gott, der der liebende Vater ist, der liebt und um Liebe wirbt, Jesus Christus» der dies alles Fleisch werden läßt,das ist es, was Pater Häring immer wieder sagt, worüber er schreibt, woran er sich abmüht und wofür er sich begeistert, ja: dem sein Leben gehört. Wahrscheinlich wäre Phil 3,12-13 eine ziemlich genaue Umschreibung dieses Anliegens.

Phil 3,12-13: Nicht daß ich es schon erreicht hätte oder daß ich schon vollendet wäre. Aberich strebe danach, es zu ergreif en, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin. Brüder, ich bilde mir nicht ein, daß ich es schon ergriffen hätte. Eines aber tue ich: ich vergesse, was hinter mir liegt, und sstrecke mich aus nach dem, was vor mir liegt.

5. Genau dies führt auch zu dem, was ich Folgeauseinandersetzungen nennen möchte: die Fragen um Entstehen von Wertbewußtsein, um das Tradieren von Werten, und zwar bei diesem heutigen Menschen den ebennichtnurnegativen, aberneuen Elementen von Säkularität undAn- thropozentrik, die sein Leben mit kennzeichnen. Denn um ihn geht es, muß es der Kirche gehen.

Der Ausspruch eines prominenten römischen Theologen, daß ihn die Zustimmung des kritischen modernen Menschen nicht im geringsten interessiere, offenbart die Kluft zwischen verschiedenem Verhalten von Moraltheologen.

Dabei wirdes immer noch, und zwar nicht nur gelegentlich, das „Gelegen bzw. Ungelegen“ geben - nur wird die Frage eben sein, warum eine Botschaft ungelegen ist. Daß sie nicht gut akzeptiert wird, ist für sich allein kein Beweis ihrer Richtigkeit für denjenigen, der nicht nur die Würde jedes Menschen ernst nimmt, sondern auch die oft auf fast häretische Weise vernachlässigte Überzeugung vom Geführtsein eines jeden Getauften durch den Geist Gottes. Solche Überzeugung löst zwar nicht alle moraltheologischen Probleme, aber sie stellt sie in einen neuen Rahmen. Daß Häring hier voll engagiert zu finden ist, wird vom Anliegen seiner ganzen Moraltheo-

logie her nicht überraschen können.

6. Bevor aber von Häring, dem Zeit- und Kirchenkritiker, zu reden ist, muß jenes Lebensfeld nochmals ausdrücklichgewürdigt werden,das seine Moraltheologie geprägt hat und in dem er sich selbst ständig bewegt: die pastorale Praxis. Häring ist für sicher Abertausende von Menschen Seelsorger in zahllosen Einzelgesprächen gewesen. Er hat in Italien in der in Millionenauflage erscheinenden Famiglia cristiana in der Rubrik „Padre Häring rispon- de“ jahrelang auf bedrängende Fragen- der Menschen nach den Möglichkeiten ihres Christseins in einfacher Form hilfreiche Antworten gegeben. Als die Redaktion meinte, Abwechslung täte gut, und sie anderen Theologen die Beantwortung der Leserbriefe übertrug, sollen es Hunderte von Lesern gewesen sein, die wieder den Padre Häring haben wollten.

7. Jetzt erst möchte ich darauf zu sprechen kommen, was Bernhard Häring jüngstens Schlagzeilen einbrachte, etwa in der Weise „Schwäbischer Pater kritisiert Papst“. Wer ihn kennt, glaubt ihm, daß er aus leidenschaftlicher Liebe zur Kirche und um der Menschen willen an die Öffentlichkeit gegangen ist; er war, wie man weiß, nicht der einzige. Aber sein ausdrücklich an den Papst gerichtetes Wort ist im Raum der Kirche nicht ohne Echo geblieben. Es hat wahrscheinlich durchaus manche erstaunt oder verärgert. Aber es hat sicher vielen Mut gemacht, an dieser Kirche jetzt nicht irrezuwerden, es mit ihr noch einmal zu versuchen, sich dennoch in ihr zu engagieren…

P. Dr. Peter lippert ist Professor für Moraltheologie an der Phil.-theologischen Hochschule der Redemptoristen in Hennef/Seg (BRD).

Auszug aus seinem Festvortrag zum Goldenen Priesterjubiläum Bernhard Härings am 15. Mai 1969 in Gars am Inn.

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