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Leben in einer neuen Welt

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„Wir leben in einer neuen Welt. . . Der Mensch unserer Zeit wird dabei zunächst an die rasch sich verändernde Welt um uns denken. Die zweite industrielle Umwälzung im Gefolge der Automation, die Zertrümmerung der Atome und die Bändigung ihrer Energien, der Vorstoß des Menschen in den Weltenraum, der sich mit den künstlichen Monden bereits ankündigt: All das sind Zeichen einer neuen Welt, die auf uns zukommt, die schon begonnen hat. Der Christ, der in dieser neuen Welt lebt, darf sie nicht einfach sich selbst überlassen. Der Auftrag Gottes an den Menschen in der Stunde der Schöpfung: Macht euch die Erde Untertan (Gen. 1, 28), ist auch und erst recht für den Menschen unserer Zeit gegeben. Die Welt ist Gottes Und seit das Zeichen der Erlösung in ihr aufgerichtet ist, hat der Christ den Auftrag, das öffentliche und private Leben christlich zu gestalten. Dazu ist ihm Gottes Heiliger Geist geschenkt worden.“

Diese Worte aus der Einleitung dieser Sittenlehre charakterisieren bereits treffend das Werk und seinen Verfasser. Bernhard Häring geht es darum, eine gesund-katholische Ethik vorzulegen, nüchtern, klar, vertrauend auf die großen Gnadenkräfte Gottes, die dem Christen mitten in der Welt, mitten in der Kirche, mitten in der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Ein besonnener Optimismus charakterisiert in diesem Sinne die zahlreichen Kurzkapitel, die ebensosehr Lehre vom Heil wie Lebenshilfe, Erweis der Tradition und Wegweisung in eine gute Zukunft darstellen. Christliche, auch katholische Ethik ist oft noch mehr als ihre Autoren es wissen wollen von manichäischen und jansenistischen Giftstoffen durchsetzt. Der „arme Sünder“ verzagt da leicht vor der Übermacht der göttlichen Majestät und vor der Übermacht seiner eigenen Sünden. Häring stellt deshalb in den Anfang das „Gesetz Christi als Frohbotschaft“, behandelt dann „die Freiheit der Kinder Gottes“, sodann „Gott und das Herz des Menschen“, und stellt dann Glaube, Hoffnung und Liebe, aber auch die sogenannten „natürlichen Tugenden“ ganz hinein in den großen Zusammenhang des göttlichen und menschlichen Lebens. „Liebe bedeutet Gemeinschaft“ (S. 209). Die Abschnitte über die Liebe, über „Gott im Nächsten lieben“, „den Nächsten wie Christus lieben“, über die Feindesliebe (S. 219 ff.) gehören zu den wertvollsten des .Buches. Häring beruft, sich auf die„neue--, Acjise., im . Christentum, die Bischof Emanuel Xarrain (Chile) in seinem aufsehenerregenden Referat auf dem zweiten Weltkongreß für das Laienapostolat in Rom 1957 aufgezeigt hat: „Die Wiederentdeckung des sozialen und gemeinschaftlichen Charakters des Heiles ist einer der großen Fortschritte im heutigen Leben der Kirche und in ihrer Einwirkung auf die Welt. Das erste Merkmal des apostolisch ausgerichteten Christen von heute ist sein ausgesprochener Sinn für das Geheimnis der christlichen Gemeinschaft . . .“ Freude am Leben und am Dienst in der Gesellschaft der Menschen und in der Gemeinschaft der Christen gewinnt jedoch nur ein Christenmensch, der voll und ganz Mensch ist. Deshalb die wichtige Maxime:

„Wir dürfen die Leidenschaften nicht ertöten: aber wir müssen das Ungesunde und Ungeordnete in uns abtöten, das heißt, den alten, selbstherrlichen Menschen verleugnen.“

Härings Bild einer freien Gesellschaft, jenseits von „kapitalistischem Liberalismus“ und von Kommunismus, ist offen im Sinne eines zeitgemäßen konservativen politischen Denkens. Mit den wenigen und anfechtbaren Sätzen über den „gerechten Krieg“ heute (S 321) dürfte der Verfasser selbst nicht befriedigt sein. Sympathisch berührt aber auch in der Erörterung zeitgenössischer gesellschaftlicher Kon-r fliktstoffe (wie Streik, Gewerkschaft usw.) die Bemühung des Ordensmannes Häring, das Leben des Laienchristen in der Welt zu verstehen und in einer gesunden Entfaltung zu fördern.

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