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Weisheit von Liebe und Tod

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Sein Denken wurde bereits zu seinen Lebzeiten unter Etikettierungen gestellt, die er ablehnte. Christlicher Existentialismus etwa gar als Gegenpol zu Sartre waren für den alten Mann aus der Rue de Tournon in Paris Bezeichnungen für sein Denken, die ihn höchstens belustigten.

Er selbst hat sein Philosophieren immer als eine Suche nach dem Konkreten verstanden, er war der akademisch-wissenschaftlichen Vereinnahmung der Philosophie ebenso abhold wie einer dogmatischen Festsetzung und Verkündigung von Thesen. Gabriel Marcel war in seinem Denken immer auf der Suche nach dem Sein, die sich zugleich auch als Suche nach dem Menschen verstand.

Schon in seinen frühen tagebuchartigen Aufzeichnungen, später zum „Journal melaphysique“ zusammengefaßt, machte Marcel eine Entdeckung, die ihn nicht mehr loslassen sollte: menschliches Sein ist Personsein und dieses kann nur aus der Beziehung, aus dem Zusammensein kommen, der „com-munion“, wie Marcel - den Ausdruck Kommunikation vermeidend - sich ausdrückte.

So wie sich Sein und Haben, Problem und Geheimnis, Reflexion und Sammlung, Besitzenwollen und Seinlassen als Pole nicht allein des menschlichen Daseins sondern auch von dessen denkerischer Durchdringung erweisen, hat Marcel die Bedeutung der Liebe und der Teilhabe in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gerückt.

In immer wieder neuen Anläufen seines sicher unsystematischen und fragmentarischen Suchens und Antwortens hat sich für diesen unkonventionellen Denker schließlich die Frage nach dem Du, nach seiner Bedeutung für das Selbstsein und seiner schöpferischen Kraft für die Beziehung als die Grundfrage allen Philosophierens herauskristallisiert.

Marcels Versuch, die Beziehung zum Du zu erschließen, beginnt weit vor jeder gesellschaftlichen Beziehung. Personales Mitsein, wie es sich am reinsten in der Liebe erschließt, existiert für ihn vor aller Gesellschaft. Kein Wunder, daß Marcels Denken, mitbedingt durch die Hochkonjunktur der Kategorie Gesellschaft, schon in den siebziger Jahren eine Außenseiterrolle spielte, was diesen Denker, der im wahrsten Sinn des Wortes Philo-sophia auch als Weisheit verstand, kaum erschütterte.

Liebe und Tod - hierin lag für ihn die entscheidende Herausforderung für das Denken, sollte dieses nicht bloß spielerisch und unernst werden. Lange bevor auch die Wissenschaften „Thanatologie“ (Todeskunde) entdeckten, hat Marcel die Frage nach dem Tod und der Liebe für das Mitsein und damit das Personsein entdeckt. Der Satz aus einem seiner Theaterstücke „Einen Menschen lieben, heißt ihm sagen, du wirst nicht sterben“ enthält die Absage an ein traditionelles Unsterblichkeitsdenken und damit an eine Metaphysik, die im Leib-Seele-Dualismus auch in der christlichen Tradition Verheerungen genug angerichtet hat.Marcel denkt dies nicht leichtfertig. Der Tod, der das Für-Immer der Liebe in ein Nie-Wieder verwandelt, ist damit Krisis und Vollendung der Liebe, indem er das Zusammen- und Mitsein zerreißt, andererseits aber gerade vom Ende her erst in seiner ganzen Bedeutsamkeit aufzeigt.

Die Verletzung meines eigenen Seins durch den Tod des geliebten Du bedeutet Verlust nicht etwa im Sinne des Habens, sondern ist eine äußerste Herausforderung, das Wir in einer Weise zu denken, die die Endgültigkeit des Todes ebenso hinter sich läßt wie eine im Glauben begründete Hoffnung auf die Unsterblichkeit der Seele.

Für Marcel bedeutet das Festhalten an der Anwesenheit des geliebten Du über den Tod hinaus einen Zugang zu Gott, in dem alle geläufigen Kategorien von Welt und Transzendenz, Diesseits und Jenseits überwunden sind.

Er hat sich letztlich zu einer „tragischen Weisheit“ bekannt-der für ihn in einem Zeitalter der Maßlosigkeit, des technisch-wissenschaftlichen Fortschrittes und der Gefährdung und Vergewaltigung des Menschen durch Ideologien aller Art einzig möglichen. Die Aufgabe der Philosophie war für ihn, zu warnen, Kritik zu üben. Die Objektivierung des Menschen, die schon im Urteil über ihn beginnt und die ihn zur Beute der ihn erkennenden Wissenschaften, aber auch zum Objekt der ihn regierenden Mächte werden läßt, ist für Marcel vielleicht die Sünde par excellence. Er zog seine Theaterstücke, die eben gerade das Konkrete auszudrücken versuchten, allen theoretischen Arbeiten vor, er trat unermüdlich für das ein, was uns lange als antiquiert erscheinen mochte, nämlich die Würde des Menschen. In seinem Philosophieren hat er eine von allem Geist der Abstraktion gereinigte Lebendigkeit verkörpert, die allen so scharfsinnigen Philosophien der Gegenwart abgeht.

Es mag schon sein, daß Marcel zu einem Ruf er in der Wüste geworden ist, daß er im Getöse der behend neu entworfenen Theorien und ideologischen Verkrustungen in Gefahr geriet, unterzugehen. Aber Marcel bleibt mit seinem Denken lebendiger und aktueller als viele, die sich angewidert von der Gegenwart in die Utopie flüchteten.

Es gab Gespräche in der Rue de Tournon, in denen für mich etwas von jenem Wahrsein aufblitzte, dem der ursprüngliche Eros der Philosophie gewidmet war und es überraschte nicht, wenn dann das Gespräch in ein gemeinsames Hören von Musik überging.

Der Autor ist Professor für Philosophie in

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