Beste Einführung zu Thomas

Für die Entwicklung und Vertiefung der heutigen theologischen Studien ist es von großer Bedeutung, daß dieses wertvolle französische Werk nun auch in guter Übertragung vorliegt. Wir besitzen bereits einige ausgezeichnete Thomas-Einführungen, die noch immer ihren Wert behalten, zum Beispiel die sehr sachlichen, aber inhaltsreichen Einleitungen Grabmanns, ferner die mit französischem Esprit verfaßte philosophische Darstellung Gilsons, die plastische und fesselnde Thomas-Biographie eines Chesterton, sodann die mehr auf das Systematische abzielertde Interpretation Mansers oder die feinsinnigen Hinführungen Josef Piepers. Die hier stichwortartig aufgezählten Eigenschaften findet man auch bei Chenu, nur bietet er unvergleichlich mehr, und so konnte ein Kenner wie Pieper dieses Werk für die beste Thomas-Einleitung halten. Das Hauptmerkmal ist die feinere Nuancierung in einer mosaikartigen Kleinarbeit, aus der jedoch ein großartiges Gesamtbild entsteht. Chenu umreißt nicht sosehr das sogenannte „Wesen des Thomismus“, wie Manser, sondern durchleuchtet die geistige Leistung des Aquinaten in ihrer ganzen Breite und Einmaligkeit, indem er sie gleichzeitig auf ihren historischen Hintergrund stellt. Dabei wird diese Lehre weder aufdringlich noch unauffällig propagiert oder empfohlen, da der Verfasser tief davon überzeugt ist, daß die Lehre des heiligen Thomas keiner übermäßigen Empfehlung bei solchen Lesern bedarf, die ernstlich bemüht sind, sich diesen Reichtum anzueignen. Dies kann aber nur geschehen, wenn man diese ungeheure Geistesarbeit nach und nach m i t v o 11- zieht und jeweils neu für sich erobert. Daher hat Chenu jeden Abschnitt mit wertvollen „Arbeitshinweisen" abgeschlossen, die den Zweck verfolgen, diesen Mitvollzug und den geistigen Integrationsprozeß zu erleichtern. In der Einleitungs literatur stellen diese Hinweise etwas ganz Neuartiges dar. Sie enthalten sozusagen die Unterlagen für praktische Seminarübungen, die vor allem dem Selbststudium dienen und die nötige Wendigkeit vermitteln, mit der gerade der heutige Be- nützer auch an die Deutsche Thomas- Ausgabe herangehen kann, an jene erstaunliche Leistung der Dominikaner von Walberberg und ihrer Mitarbeiter, die den lateinischen Text der Summa Theologica zunächst in einer überaus klaren, oft modern anmutenden Verdeutschung durchsichtig und mit Hilfe zahlreicher historischer und philosophisch-theologischer Erklärungen erläutert haben.

Wer nach solcher sachgemäßer Vorbereitung den Sprung in die Geisteswelt des heiligen Thomas wagt, wird zuerst gewisse zeitbedingte Eigentümlichkeiten, die den modernen Leser befremden, zu überwinden haben. Mit begrüßenswerter Aufrichtigkeit macht Chenu gerade auf dies Schwierigkeiten und Hindernisse des Anfangs aufmerksam, und auch die Bearbeiter der Deutschen Thomas-Ausgabe beleuchten gewisse Lücken oder Unzulänglichkeiten, wobei sich aber immer wieder zeigt, daß sie das Wesen des Thomismus nicht berühren. Inzwischen wird der Leser jene „Öffnungen" gefunden haben, durch die er bis ins Mark dieser Lehre, bis zu den fruchtbaren und bleibenden Prinzipien vorstoßen kann, zu jenen grundlegenden, tragfähigen Gedanken, die so wertbeständig sind, daß sie ganz neue Erkenntnisse und Gedankengänge aufnehmen können und zum selbständigen Weiterdenken anregen. Schließlich wird man vor allem erkennen, daß Thomas — nicht nur in der Summa Theologica, sondern zum Beispiel auch in seiner Summa contra Gentiles — in erster Linie Theologe war, so daß man ihn nur in dieser Sicht richtig verstehen bzw. auf dieser Ebene das eigentliche Ferment finden kann, das neue und tiefere Erkenntnisse befruchtet. Es ist das große theologische Grundhaltung aufmerksam Verdienst Chenus, daß er sowohl in der gemacht hat. Während die heutige For- angezeigten ausführlichen Einleitung wie schung sich hinreichend mit der Philo- in seiner für breitere Kreise bestimmten Sophie des heiligen Thomas befaßt hat, Schrift: Thomas von Aquin in Selbst- sind die Schätze seiner Theologie nur zum Zeugnissen und Dokumenten (Rowohlts geringen Teil ans Tageslicht gefördert Monographien, Nr. 45, 1960) auf diese worden. Prof.