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Digital In Arbeit

Religion und Arbeit

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Ich möchte die Welt der Arbeit dringend auffordern, das Problem der Beziehungen zwischen Religion und Arbeit ernstlich zu überdenken.

Der Kürze zuliebe werde ich mich begnügen, drei Richtungen anzugeben, nach denen alle, die guten Willens sind, ihr Studium orientieren können, um die Beziehungen zwischen Religion und Arbeit zu klären.

Die erste Richtung gilt unserer Religion in ihrer zweifachen Ausdrucksform: in Lehre und Leben.

Findet sich etwas in Lehre und Leben unserer Religion, das heißt der Kirche, das sich gegen die Arbeit richtet? Gegen die Arbeit in ihrer wissenschaftlichen und organisatorischen oder in ihrer technischen und ausführenden Phase?

Wann hätte die Kirche sich je dieser natürlichen und pflichtgemäßen Form der menschlichen Aktivität entgegengestellt?

Ist ihr Ziel auch spirituell und transzendent, so leugnet sie deshalb doch nicht die untergeordneten, der menschlichen Natur gemäßen Ziele; im Gegenteil, diese Aufgaben erhalten Impuls, Richtung und Subli-mierung, wenn sie miteinbeschlossen sind in einem größerräumigen Plan des Lebens als dem von der zeitlichen Ordnung vorgezeichneten.

Und gibt es eine Gegensätzlichkeit, so eben dann, wenn die menschlichen Ziele vom zeitlichen Horizont mit seinen ökonomischen und materiellen Werten bestimmt und eingekreist werden, wenn man dem Menschen, der arbeitet, die Sehnsucht — und auch das Recht — abspricht, über die Sphäre seiner Plagen und einer bloßen Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse hinauszuwachsen, wenn man ihm den Zugang zu den wahren Gütern des Geistes verwehrt, wenn man ihm die Hoffnung auf ein erfülltes Leben jenseits des Grabes raubt.

Wenn wir nicht wollen, daß die Arbeit zur Zwangsarbeit wird, ist es notwendig, daß über der Sphäre der menschlichen Aktivität, die auf die Nutzbarmachung der irdischen Güter abzielt, der Himmel des spirituellen Lebens sich öffnet; und wenn wir wollen, daß der Himmel des geistigen Lebens nicht zu einer hohlen, nur von schattenhaften Illusionen bewohnten Irrealität wird, muß dieser Himmel erleuchtet sein von der höchsten, von der strahlenden Realität des lebendigen Gottes.

Doch nein, nicht Widerstreit — es kann auch eine Diskussion darüber entstehen, wie die verschiedenen Doktrinen die aus der Arbeit sich ergebenden sozialen Phänomene einstufen: eine Diskussion über die bekannte soziale Frage.

Ist es denn wirklich notwendig, zu erinnern, wie sehr sich die Lehre der Kirche eine menschliche, vernünftige, geordnete, fortschrittliche und dem Gemeinwohl dienliche Lösung der sozialen Frage angelegen sein ließ? Ein Archiv glaubwürdiger, wohlfundierter, wohldurchdachter, mutiger Schriften — im Laufe des letzten Jahrhunderts verfaßt — zeugt von dem lebhaften und aufrichtigen Interesse der Kirche auf sozialem Gebiet.

Die wohlhabenden Klassen mögen der Kirche ihre generelle Aufgeschlossenheit für ökonomische und soziale Phänomene zubilligen, ihre Würdigung der wesentlichen Formen des rechtmäßigen Eigentums, ihr gemäßigtes Schritthalten mit dem Entwicklungsgang der Reformen, ihre Achtung und ihr Vertrauen dem gegenüber, der neue Formen der Arbeit, neue Organisationen, ein neues Instrumentarium erfindet, für den also, der neue Quellen des Reichtums und der Prosperität erschließt; ihre immer wachsame, oft auch strenge, aber stets gleichmäßig ruhige und väterliche Warnung vor den moralischen und sozialen Gefahren eines egoistischen Reichtums, ihr mahnendes Wort über die Notwendigkeit einer gerechteren Verteilung der ökonomischen Werte, ihre Belehrung über die Schönheit der menschlichen und sozialen Aufgabe, selbstlos und großzügig beizutragen zur Hebung der Arbeiter und besonders jener Klassen, die durch die Industrialisierung entstanden und die man Proletarier nannte. Nach Ansicht der Kirche sollte man darin so weit gehen, daß man sie an dem Gewinn des Unternehmens beteiligt, ja, so weit, daß sie — auch wenn dies nicht unbedingt geboten ist — ein Mitspracherecht an der Leitung erhalten.

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