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Die bittere Wurzel

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Ein altes tschechisches Sprichwort sagt: „Die Wurzel ist bitter, aber die Früchte sind süß.“ Wer mußte nicht an diese Worte denken, als vor kurzem der neue österreichische Finanzmiinister harte Sätze über die Lage der österreichischen Wirtschaft sprach. Seine Worte waren bitter wie die Wurzel, die auf tschechisch „koren“ heißt. Der Minister selbst be- zeichnete seine Rede als einen „Paukenschlag“. Gewiß in der Hoffnung, daß seine Worte nicht mehr zu überhören sein werden. Denn als Bundeskanzler Klaus in seiner Regierungserklärung, mit der er die neue Bundesregierung vorstellte, vom Sparen sprach, war diese Mahnung von der Öffentlichkeit vielfach nicht zur Kenntnis genommen worden. In ähnlich offener Weise hat in letzter Zeit nur der britische Premier gesprochen.

Das Budget 1969 wird einen Abgang von 16 Milliarden aufweisen, der mit normalen Mitteln nicht mehr zu decken ist. Um ein solches Defizit zu bannen, das einen Staat erschüttern kann, hilft nur die Befolgung eines uralten Rezeptes: Weniger ausgeben und mehr einnehmen. Aber dies ist leichter gesagt als getan. Mehr Einnahmen werden wahrscheinlich neue Steuern bedeuten. Der österreichische Staat lebt hauptsächlich von zwei Steuern: der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer. Beide hängen mit der wirtschaftlichen Konjunktur zusammen. Geht diese zurück, dann gehen auch diese Steuern zurück. Außer neuen Massensteuern wäre es wichtiger, eine Belebung der Wirtschaft zu forcieren, um die zwei klassischen Einkommensquellen reichlicher fließen zu lassen. Vor allem müßten energische Schritte zur Belebung des Fremdenverkehrs unternommen werden, der immer noch die Zahlungsbilanz Österreichs sehr aktiv beeinflußte. Auch über das Sparen sprach der Minister sehr harte Worte. Der österreichische Staat hat drei große Ausgabenposten: die Sozialausgaben, die Schulausgaben und die Beamtenausgaben. Es werden alle Ausgabenposten überprüft und röntgenisiert werden, ob sie notwendig seien, sagte Dr. Koren. Dabei wird sich ergeben, was ohnedies alle Welt weiß, daß so manche Beamtenposten eingespart werden könnten. Eine große Ersparungspost wäre vielleicht das neunte Schuljahr. Denn viele Eltern sowie weite Kreise der Wirtschaft hätten große Freude, wenn seine Verwirklichung rückgängig gemacht würde. Vor allen Dingen aber dürfen keine neuen Lohnforderungen die Wirtschaft erschüttern. Die Produktivität ist in der österreichischen Industrie in den Jahren 1965 und 1966 nur um 3,4 bis 4,4 Prozent gestiegen, die Löhne jedoch um 9 bis 12 Prozent, so daß sich die Arbeitskosten um rund 6 Prozent erhöhten. Gleichzeitig stiegen sie in den anderen europäischen Industrieländern nur um 3 bis 4 Prozent. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie ist dadurch sehwerstens beeinträchtigt.

So sind die Perspektiven für das Jahr 1969 recht undurchsichtig. Sicher ist nur eines, daß Österreich den „Paukenschlag“ des Finanzministers nicht überhören darf, will es seine Wirtschaft nicht sehwerstens gefährden. Wird es aber diesen „Paukenschlag“ warhnehmen, dann wird sich das alte tschechische Sprichwort bewahrheiten: „Die Wurzel ist bitter, aber die Früchte sind süß.“

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