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EU-Chefdelegierter Reinhard Bütikofer: "China ist eindeutig im russischen Lager"

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Unter dem Mantel der Selbstviktimisierung stellt Peking hegemoniale Ansprüche, sagt Reinhard Bütikofer, EU-Chefdelegierter für die Beziehungen zur Volksrepublik. Ein Gespräch über geo- und demokratiepolitische Gefahren, Know-how-Klau, den Krieg in der Ukraine und die Notwendigkeit, sich auf Werte zu besinnen.

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Unter dem Mantel der Selbstviktimisierung stellt Peking hegemoniale Ansprüche, sagt Reinhard Bütikofer, EU-Chefdelegierter für die Beziehungen zur Volksrepublik. Ein Gespräch über geo- und demokratiepolitische Gefahren, Know-how-Klau, den Krieg in der Ukraine und die Notwendigkeit, sich auf Werte zu besinnen.

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Die chinapolitische Rolle von Reinhard Bütikofer, Urgestein der deutschen Grünen, ist einigermaßen ambivalent. Der EU-Abgeordnete ist seit 2019 Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik – doch in China selbst gilt er als Persona non grata. Seit 2021 ist er für einen unbegrenzten Zeitraum mit einem Einreiseverbot belegt. Eine Retourkutsche, denn Bütikofer hatte sich dafür eingesetzt, dass die EU Sanktionen gegen Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Minderheit verhängt.
Im Interview erklärt er, inwiefern die Ägide Xi für die Volksrepublik von Nachteil ist und inwiefern Taiwan selbst in der Pflicht steht, wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen.

DIE FURCHE: Herr Bütikofer, Sie gelten als einer der schärfsten Kritiker Xi Jinpings im EU-Parlament. Worauf fußt Ihre Kritik genau?
Reinhard Bütikofer:
Die politische Entwicklung in China unter der Führung von Xi Jinping ist eine Rolle rückwärts vom Autoritarismus zum Totalitarismus. Alles das, was es an kleinen Freiräumen und zivilgesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeit je gab, ist seit der Machtübernahme Xi Jinpings verschwunden. Die Ägide Xi bricht mit einer langen Phase, die durch Reformen und Öffnung nach außen geprägt war. Heute lauten die Leitbegriffe Kontrolle und Sicherheit.

DIE FURCHE: Welche geopolitische Rolle schreiben Sie China gegenwärtig zu, und was sagen Sie zu der These, dass im Jahr 2050 China die unangefochtene Weltmacht sein wird?
Bütikofer:
Wir sollten uns nicht aufschwatzen lassen, dass es eine Art historisches Gesetz gebe, wonach die KP Chinas einen unaufhaltsamen Siegeszug vollführen werde. Vieles von dem, worauf China heute stolz ist, etwa der gehobene Lebensstand vieler Chinesinnen und Chinesen, lässt sich nicht ohne Chinas Zusammenarbeit mit dem Ausland verstehen. Ohne die vielfältigen Investitionen aus den USA, Europa oder Japan würde China nicht da stehen, wo es steht. Die ökonomische Stärke des Landes entstand nicht einfach aus eigener Kraft. Das China von heute setzt höchstens noch taktisch, nicht mehr strategisch auf diese Zusammenarbeit.

DIE FURCHE: Was bedeutet das im Umkehrschluss?
Bütikofer:
Dass Xi Jinping mit seiner Politik etliche Fundamente der Stärke Chinas untergräbt. Er verfolgt übrigens dabei ein sehr konfrontatives Narrativ über Chinas globale Rolle. Es heißt aus Peking, mit China trete jetzt endlich ein Land auf den Plan, das die Vorherrschaft des weißen Westens brechen könne, um den Weg freizusprengen für alle anderen – Afrika, Lateinamerika, Asien. Chinas machtvolle und zum Teil ganz offenkundig aggressive Politik sei dabei ein nötiges Mittel zum Zweck. Mit scheint ein anderes Narrativ richtig: China ist unter dem Mantel der Selbstviktimisierung dazu übergegangen, hegemoniale Ansprüche zu stellen und die internationale Ordnung, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg eine bemerkenswerte Zeit erlaubt hat – das Recht des Stärkeren wurde abgelöst durch stärkeres Recht –, zu untergraben. Diese Ordnung will Peking außer Kraft setzen. Es will eine pekingzentrierte Nabe-Speichen-Struktur schaffen. Weil aber nun die KP Chinas einen totalitären Charakter hat, bedroht diese Politik gleichzeitig und weltweit alle Freiheiten und die Demokratie obendrauf.

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Das ist machtpolitischer Zynismus pur: Xi Jinping bedient sich Putins Diktion – er hat es noch nicht einmal hinbekommen, den Krieg offiziell Krieg zu nennen.

DIE FURCHE: Der Traum von einem globalen Siegeszug der Demokratie wäre spätestens mit einer Weltmacht China ausgeträumt?
Bütikofer:
Wagen wir ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, China wäre ein demokratisches Land; dann würde es trotzdem den Anspruch erheben – und ich sage: verständlicherweise –, eine größere Rolle zu spielen in der Welt. Ein China, das nach denselben Prinzipien verfasst wäre, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt sind, wäre aber ein Partner. Das China Xi Jinpings setzt nicht auf Partnerschaft, sondern auf Dominanz. Partnerschaft ist nur so lange willkommen, solange sie Vorteile bringt; andernfalls ist sie am Ende. Es gibt zwei wirtschaftliche Branchen, in denen man diese Taktik gut studieren kann: Telekom und Bahn. Es waren die großen europäischen Bahnkonzerne, die durch Technologietransfer – vertraglich vereinbarten und illegalen, also Know-how-Klau – dazu beigetragen haben, dass China heute eine außerordentlich starke eigene Bahnindustrie hat.

In dem Moment, in dem China die ganze Kapazität der Branche in einem großen Staatsunternehmen bündelt, siehe CRRC (die China Railway Rolling Stock Corporation ist der größte Schienenfahrzeughersteller der Welt, Anm. d. Red.), wird den Europäern die Tür gewiesen. Zweites Beispiel: Nokia und Ericsson, einst industrielle Großakteure in China, fristen dort nur noch eine Randexistenz. Eine ähnliche Gefahr droht gerade der europäischen Automobilindustrie aus China. Diejenigen also, die meinen, man müsse aufgrund des gigantischen Wachstumspotenziales des chinesischen Marktes vor allem auf ebendiesen setzen, denken einseitig. Langfristig gesehen ist ein Verlassen auf China ein Risiko.

DIE FURCHE: Was wären die Alternativen?
Bütikofer:
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die China isolieren oder den Kontakt abbrechen wollen. Auch die Parole des Abkoppelns halte ich für dumm. Das ist praktisch nicht umsetzbar. Auch wenn das im Weißen Haus immer mal wieder gepredigt worden ist – die U.S. Chamber (die United States Chamber of Commerce ist der weltgrößte Unternehmensverband, Anm. d. Red.) oder die AmCham (Amerikanische Handelskammer bei der EU, Anm. d. Red.) gingen nie darauf ein. Gleichzeitig gilt es, wahrzunehmen, dass man sich gegen Überabhängigkeiten wappnen muss. China ist bereit, diese Überabhängigkeit als Waffe zu nutzen. Erlebt haben das etwa bereits Australien, Japan, Korea, Schweden, Norwegen, Tschechien und Litauen.

DIE FURCHE: Charles de Gaulle wird das Zitat „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“ zugesprochen. Demzufolge könnte man das von Ihnen kritisierte Verhalten Chinas schlicht als klassische Realpolitik einstufen. Halten Sie es hier ähnlich wie Ihre Parteifreundin Annalena Baerbock, Deutschlands Außenministerin, die von der klassischen Diplomatie abgerückt ist und gerne mal die Moralkeule schwingt?
Bütikofer:
Ihre Zuschreibung erscheint mir als Klischee. Baerbock hat bei ihrem Chinabesuch unsere europäischen Interessen klar artikuliert. Wir als Union, die Welthandel betreibt, haben etwa Interesse an der Stabilität in der Taiwanstraße. Also sollen wir mit Taiwans Demokratie solidarisch sein. De Gaulle hatte schon recht, dass alle Staaten Interessen verfechten. Chinas Interesse ist aber eines der besonderen Art: Es geht Peking um globale Hegemonie für die unerschütterliche Herrschaft der Kommunistischen Partei. Demgegenüber auf unsere Werte zu achten, fördert unsere Interessen, schadet ihnen nicht. Das heißt nicht, die Moralkeule zu schwingen – aber die Werte helfen, langfristig zu denken und nicht auf ein falsch verstandenes Prinzip Hoffnung zu setzen.

DIE FURCHE: Stichwort Taiwan. Fürchten Sie eine Eskalation seitens Chinas?
Bütikofer:
Ja. Es muss deswegen alles dafür getan werden, dass es zu keiner militärischen Auseinandersetzung kommt.

Wir sollten uns nicht aufschwatzen lassen, dass es eine Art historisches Gesetz gebe, wonach die KP einen unaufhaltsamen Siegeszug vollführen werde.

DIE FURCHE: Der Traum von einem globalen Siegeszug der Demokratie wäre spätestens mit einer Weltmacht China ausgeträumt?
Bütikofer:
Wagen wir ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, China wäre ein demokratisches Land; dann würde es trotzdem den Anspruch erheben – und ich sage: verständlicherweise –, eine größere Rolle zu spielen in der Welt. Ein China, das nach denselben Prinzipien verfasst wäre, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt sind, wäre aber ein Partner. Das China Xi Jinpings setzt nicht auf Partnerschaft, sondern auf Dominanz. Partnerschaft ist nur so lange willkommen, solange sie Vorteile bringt; andernfalls ist sie am Ende. Es gibt zwei wirtschaftliche Branchen, in denen man diese Taktik gut studieren kann: Telekom und Bahn. Es waren die großen europäischen Bahnkonzerne, die durch Technologietransfer – vertraglich vereinbarten und illegalen, also Know-how-Klau – dazu beigetragen haben, dass China heute eine außerordentlich starke eigene Bahnindustrie hat. In dem Moment, in dem China die ganze Kapazität der Branche in einem großen Staatsunternehmen bündelt, siehe CRRC (die China Railway Rolling Stock Corporation ist der größte Schienenfahrzeughersteller der Welt, Anm. d. Red.), wird den Europäern die Tür gewiesen.

Zweites Beispiel: Nokia und Ericsson, einst industrielle Großakteure in China, fristen dort nur noch eine Randexistenz. Eine ähnliche Gefahr droht gerade der europäischen Automobilindustrie aus China. Diejenigen also, die meinen, man müsse aufgrund des gigantischen Wachstumspotenziales des chinesischen Marktes vor allem auf ebendiesen setzen, denken einseitig. Langfristig gesehen ist ein Verlassen auf China ein Risiko.

DIE FURCHE: Was wären die Alternativen?
Bütikofer:
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die China isolieren oder den Kontakt abbrechen wollen. Auch die Parole des Abkoppelns halte ich für dumm. Das ist praktisch nicht umsetzbar. Auch wenn das im Weißen Haus immer mal wieder gepredigt worden ist – die U.S. Chamber (die United States Chamber of Commerce ist der weltgrößte Unternehmensverband, Anm. d. Red.) oder die AmCham (Amerikanische Handelskammer bei der EU, Anm. d. Red.) gingen nie darauf ein. Gleichzeitig gilt es, wahrzunehmen, dass man sich gegen Überabhängigkeiten wappnen muss. China ist bereit, diese Überabhängigkeit als Waffe zu nutzen. Erlebt haben das etwa bereits Australien, Japan, Korea, Schweden, Norwegen, Tschechien und Litauen.

DIE FURCHE: Charles de Gaulle wird das Zitat „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“ zugesprochen. Demzufolge könnte man das von Ihnen kritisierte Verhalten Chinas schlicht als klassische Realpolitik einstufen. Halten Sie es hier ähnlich wie Ihre Parteifreundin Annalena Baerbock, Deutschlands Außenministerin, die von der klassischen Diplomatie abgerückt ist und gerne mal die Moralkeule schwingt?
Bütikofer:
Ihre Zuschreibung erscheint mir als Klischee. Baerbock hat bei ihrem Chinabesuch unsere europäischen Interessen klar artikuliert. Wir als Union, die Welthandel betreibt, haben etwa Interesse an der Stabilität in der Taiwanstraße. Also sollen wir mit Taiwans Demokratie solidarisch sein. De Gaulle hatte schon recht, dass alle Staaten Interessen verfechten. Chinas Interesse ist aber eines der besonderen Art: Es geht Peking um globale Hegemonie für die unerschütterliche Herrschaft der Kommunistischen Partei. Demgegenüber auf unsere Werte zu achten, fördert unsere Interessen, schadet ihnen nicht. Das heißt nicht, die Moralkeule zu schwingen – aber die Werte helfen, langfristig zu denken und nicht auf ein falsch verstandenes Prinzip Hoffnung zu setzen.

DIE FURCHE: Stichwort Taiwan. Fürchten Sie eine Eskalation seitens Chinas?
Bütikofer:
Ja. Es muss deswegen alles dafür getan werden, dass es zu keiner militärischen Auseinandersetzung kommt.

Das ist machtpolitischer Zynismus pur: Xi Jinping bedient sich Putins Diktion – er hat es noch nicht einmal hinbekommen, den Krieg offiziell Krieg zu nennen.

DIE FURCHE: Wer sind die Adressaten Ihrer Forderung?
Bütikofer:
Erstens Taiwan. Wir sehen das beim Krieg in der Ukraine – wenn sich die Ukrainer nicht gewehrt hätten, hätten wir ihnen Waffen schicken können, so viel wir wollten, es hätte nichts genützt. Daher ist die erste Bedingung, dass die Taiwanesen ihre Demokratie verteidigen wollen. Zweitens gilt es, China klarzumachen, dass wir weiter unsere „Ein-China-Politik“ betreiben werden – sprich, es soll keine einseitige Veränderung des Status quo geben. Drittens befürworte ich eine kluge Abschreckungspolitik.

DIE FURCHE: Welche Art von Abschreckungspolitik meinen Sie?
Bütikofer:
Dafür relevante militärische Kapazitäten haben wir nicht. Sehr wohl aber ökonomische. China hat es ja noch nicht geschafft, die „Middle Income Trap“ zu überwinden. Wie eingangs schon gesagt, hat China viel von dem Austausch mit dem Ausland profitiert. Das heißt: Wenn China nun eine Politik macht, die die internationale Gemeinschaft auf die Barrikaden treibt, wird es einen ökonomisch heftigen Preis dafür zahlen.

DIE FURCHE: An dieser Stelle drängt sich der Vergleich mit Russland auf. Gehören Sie zu jenen, die Sanktionen gegenüber Russland auch als Signal an China verstanden wissen wollen?
Bütikofer:
Zumindest beweisen wir, dass wir in der Lage sind, dieser bewaffneten Aggression einer autoritären Macht etwas entgegenzusetzen. China beobachtet das sehr genau.

DIE FURCHE: Wie beurteilen Sie Chinas Rolle in diesem Krieg und das Angebot, sich als Vermittler einzubringen?
Bütikofer:
Das ist Spiegelfechterei. China ist eindeutig im russischen Lager. Die chinesische Propaganda sagt, an dem Krieg sei die NATO schuld. China hat es noch nicht einmal hinbekommen, den Krieg offiziell Krieg zu nennen. Xi Jinping bedient sich der russischen Diktion. Auch hört man von China nichts davon, dass dieser Krieg unvereinbar ist mit den Prinzipien der Vereinten Nationen, nämlich nationaler Souveränität und territorialer Integrität. China müsste, wenn es tatsächlich vermitteln wollte, wenigstens zurückkehren zur Basis des internationalen Rechts und den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine einfordern. China sieht die Vereinigten Staaten als die Macht, die man hinter sich lassen will. In Russland wiederum sieht es einen Verbündeten im globalen Ringen gegen die USA und die EU. China glaubt, es profitiere von diesem Krieg, weil er die USA vom Indopazifik ablenke, die Europäer schwäche und Russland teilweise zum Pekinger Vasallen mache. Machtpolitischer Zynismus pur.

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