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Fromme Sanierungswünsche

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Nach Verabschiedung der Ministerlisten und Bestellung der 56 Staatssekretäre konzentrieren sich Mariano Rumors Anstrengungen auf die Programmpunkte seines dritten Kabinetts: die neuen Regionalverwaltungen, die Wirtschaftspolitik, die Strafprozeß-, Fürsorge-, Schul- und Städtebaureform, Südtirol, das Arbeiterstatut, die Amnestie und das Ehescheidungsproblem.

Die schon lange in Aussicht gestellten Regionalwahlen werden am 7. Juni über die Bühne gehen. Ihnen erwächst der Beamtenstaat, der sich binnen zweier Jahre aller jener Aufgabenbereiche anzunehmen hat, die kraft Verfassung nach langem Feilschen im Parlament fortan den Regionalverwaltungen zur Entscheidung überlassen sind, nämlich Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Städtebau und Programmierung neuer Industriebetriebe. Ein Teil der im jetzigen Zentralstaat in Rom beschäftigten Beamten, vornehmlich des Landwirtschafts- und Industrieministeriums und des Ministeriums für Schauspielwesen und Tourismus, wird sich 1972 von der Hauptstadt nach Perugia, Florenz, Neapel, Po-tenza, Bari, Ancona, Venedig, Genua, Mailand, Turin und die übrigen Regionalhauptstädte begeben, dieneben ihrer wirtschaftlichen Bedeutung dann auch noch eine politische Aufwertung erfahren. Die Hoffnung besteht, daß Mailand alsbald besser für die Lombardei und ihre vielen ungelösten Gebiete im Veltlin samt der industriellen Planung sorgen wird, als es bisher Rom aus weiter Ferne getan hat.

Es ist höchste Zeit, der galoppierenden Inflation zuvorzukommen. Mit dem im heißen Herbst den Arbeitgebern und dem Staate abgetrotzten Lohnaufbesserungen sind die Preise in den letzten vier Monaten erheblich gestiegen. Um zu verhüten, daß sie Ende 1970 nicht das einkalkulierte und bereits im Vorjahr verzeichnete Ausmaß von 5 Prozent überschreiten, wird sich das dritte Kabinett gleich nach der jetzt auf den 21. oder 22. April angesetzten Vertrauensabstimmung auf die Hinterbeine stellen müssen. Der kostspielige Staatshaushalt darf nicht noch mehr belastet werden. Die Zahlungsbilanz gilt es wieder auszugleichen, das ins Ausland geflutete Kapital wenigstens zum Teil zurückzugewinnen. 5000 Milliarden Lire sollten so bald wie möglich dem industriellen Aufbau zur Verfügung stehen. Nachdem die Gefahr einer totalen Linksöffnung (lies: Aufnahme der KPI in die Regierung) mit Ach und Krach gebannt werden konnte, hofft Rumor das kapitalkräftige Ausland, nicht zuletzt die Schweizer Unternehmer bewegen zu können, im Stile der endfünfziger Jahre wieder mehr in Italien, besonders im Mezzogiorno, zu investieren. Eine Ministerialkommis-sion wird den italienischen und ausländischen Kapitalgebern besondere Anreize der Risikoverteilung und Verminderung bieten. Während die Steuerreform kaum vor Ende 1971 verabschiedet sein wird und der Straferlaß für die Angeklagten des heißen Herbstes erst aus Anlaß der Jahrhundertfeier des Römer Anschlusses an Italien, am 18. September, erfolgen dürfte, die Städtebaureform sogar erst gegen Ende der Legislatur, also kaum vor April 1973, an die Reihe kommt, besteht gute Aussicht, daß das Arbeiterstatut gleich nach den Regionalwahlen vom Parlament gutgeheißen wird und daß damit die Sicherstellung der italienischen Arbeitnehmer einen weiteren Fortschritt verzeichnet. Durch Aufnahme von Verhandlungen mit dem Vatikan zur Klärung der strittigen Punkte des Konkordates und der italienischen Verfassung dürfte die parlamentarische Debatte über die Einführung der Ehescheidung ins italienische Zivilrecht kaum stark in Verzug geraten.

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