"Als Türke würde ich Angst bekommen"

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Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über gelebten und medialen Rassismus gegen die türkische Minderheit, rechtsradikale Österreicher und sein Verständnis für die Polemik des türkischen Botschafters in Wien.

Klaus Ottomeyer ist Professor für Sozialpsychologie, Ethnopsychoanalyse und Psychotraumatologie an der Universität Klagenfurt und aktiv im Verein Aspis zur Betreuung traumatisierter Flüchtlingen.

Die Furche: Der türkische Botschafter in Wien, Kadri Ecvet Tezcan, hat seinem Ärger über die österreichische Integrationspolitik Luft gemacht. Fair war er in seiner Polemik nicht immer. Aber die Reaktion war, als hätte er in ein politisches Wespennest gestochen.

Klaus Ottomeyer: Unter anderem sagte er, Österreich sei auf dem Weg in den Rechtsextremismus, weil über ein Viertel der Wähler in Wien rechtsextrem wählen. Damit hat er ja recht. Aber natürlich ist es hier so, dass das nicht einer sagen darf, der von außen kommt. Die Strachepartei ist aber nach allen wissenschaftlichen Kriterien eine rechtsextreme Partei. Es wird nur bagatellisiert, die Wähler dieser Partei seien Protestwähler und Enttäuschte. Aber übrig bleibt, dass Strache ganz klar rechtsextreme Flagge gezeigt hat und gewählt wurde. Sogar der UNO-Generalsekretär hat sich über die Internet-Spiele empört, in der die FPÖ auf Muezzins schießen ließ.

Die Furche: Ausgerechnet die FP reagierte besonders pikiert und forderte ein Aussetzen der diplomatischen Beziehungen zur Türkei.

Ottomeyer: Die Türken sind ja auch das ausgemachte Feindbild für Strache, nicht etwa die Serben. Es geht gezielt gegen diese Volksgruppe. Angesichts des Wiener Wahlkampfs würde ich als Türke aber auch Angst bekommen, und dass der Botschafter aus dieser Sorge heraus die eine oder andere extreme Formulierung findet, ist irgendwie verständlich.

Die Furche: Die politische Diskussion ist die eine Seite. Das andere ist die veröffentlichte Meinung. Ich möchte Ihnen einige Zeitungstitel vorlegen, die mir aufgefallen sind: Protest gegen Türken-Botschafter! (Heute, 11. 11.), Eklat um Türkenbotschafter, Türkei provoziert Österreich (Österreich, 11. 11.), Türkei-Botschafter muss sofort weg (Kronen-Zeitung, 11. 11.). Was sagen Sie zur Wortwahl?

Ottomeyer: Die Verwendung des Wortes Türken verdeutlich, dass der Botschafter nicht als Vertreter einer Regierung dargestellt wird, sondern direkt für das Volk steht. Da geht es also Volk gegen Volk. Und wenn in so einem Konflikt gleich von Provokation die Rede ist und auf diese Provokation sofort geantwortet werden muss, noch dazu mit dem Verschwinden des Gegners, dann ist das fast liquidatorisch. Da kann ich nur darauf hinweisen, dass die Nazis sogenannte Provokationen zum Anlass genommen haben, die Demokratie abzuschaffen.

Die Furche: Man muss nicht lange suchen, um schärfere Analysen als jene des Botschafters zu bekommen. Ich zitiere Robert Menasse: Seit Jahren werden die Standards, die von Menschenrechtskonvention und Flüchtlingscharta vorgegeben sind, in Österreich systematisch unterboten und in ein System von Demütigungen umgewandelt. Wäre das auch Ihre Analyse?

Ottomeyer: Ich würde sagen, wir haben ein langsames, aber sicheres Herabsinken der Schwelle, was man alles mit ausländischen Menschen machen darf. Es gibt zunehmend zwei Rechtsordnungen. Eine für Vollbürger, die andere für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Das fing schon an, als Jörg Haider die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen durfte bei tschetschenischen Flüchtlingsfamilien. Das ist bis heute nicht wieder gutgemacht. Und gerade habe ich von einem Fall gehört, wo Mitarbeitern des Vereins Vobis, die hier in Kärnten unentgeltlich Deutschkurse anbieten, der Zutritt zu den Unterkünften verwehrt wird. Das heißt, die Flüchtlinge haben nicht einmal das elementare Recht, Besuch zu empfangen.

Die Furche: Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman sagt, das politische Hauptproblem besteht darin, dass aus dem Ressentiment gegenüber Migranten so viel politisches Kapital zu schlagen ist. Es geht da gar nicht so sehr darum, wie viele Stimmen die Rechtsparteien kriegen, sondern wie sehr sich die anderen Parteien verändern und den Job der Rechten machen.

Ottomeyer: Frau Fekter wurde vom Botschafter ja auch besonders angegriffen. Und sie ist ja auch für das Einsperren von Flüchtlingen. Da sieht man, dass sich der Gedanke Haft auf Verdacht durchgesetzt hat. Haider hat damit angefangen und jetzt macht es auch die Innenministerin. Damit werden die Rechte einer bestimmten Menschengruppe Stück für Stück abgeschafft.

Die Furche: Wie soll man sich aber echten Integrationsproblemen stellen, der Sprache, der Bildung, der Armutsgefährdung und der paternalistischen Strukturen und ihrer Folgen: Zwangsheirat, Ehrenmord, der Kopftuchzwang?

Ottomeyer: Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen, die hier Anwendung finden können. Jeder Mensch in diesem Land hat ab dem Alter von 14 Jahren das Recht, seinen Aufenthalt zu bestimmen, und da gibt es auch Jugendämter, die dafür sorgen, dass das durchgesetzt werden kann. Warum soll das für junge Musliminnen nicht auch durchgesetzt werden können. Wenn ein Mann seine Frau schlägt, gibt es Interventionsstellen, die für türkische Familien ebenso zuständig sind wie für österreichische. Dazu braucht es keine eigenen Gesetze. Natürlich ist das schwierig, aber es das ist es auch bei so mancher österreichischen Familie.

Die Furche: Das österreichische Modell der Religionstoleranz vor allem gegenüber dem Islam wird immer als vorbildlich gelobt. Es stammt aus 1912. Angenommen, es gäbe dieses Gesetz nicht. Hielten Sie es für möglich, dass eine Bundesregierung heute eine ähnliche Regelung verabschieden würde?

Ottomeyer: Ich glaube, ein solches Gesetz würde niemals durchgehen. Da würden die Leute Sturm laufen dagegen und vor der Überfremdung warnen.

Die Furche: Ängste gegenüber dem Islam und Ausländern gibt es in ganz Europa, was ist das speziell Österreichische daran?

Ottomeyer: Als Psychologe meine ich, dass die Menschen hier das Gefühl haben, dass ihre Kohärenz gefährdet ist, ihre Identität. Es bröckelt das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft, auch wegen des Sozialabbaus. Nun gibt es Bewegungen, die neue Zugehörigkeit versprechen. Dieses Gefühl lässt sich am einfachsten herstellen, wenn man ein bedrohliche Gruppe konstruiert, die angeblich die Zusammengehörigkeit der eigenen Gruppe unterminiert.

Die Furche: In ganz Europa fallen diese Kohärenzversprechen auf fruchtbaren Boden - aus Angst vor einer Parallelgesellschaft.

Ottomeyer: Weil hier immer von Parallelgesellschaft die Rede ist. Ich behaupte, dass es im Kapitalismus sehr viele Parallelgesellschaften gibt. Einerseits soll man fair sein und ein Teamspieler und sozial, andererseits soll man egoistisch sein und rücksichtslos und narzisstisch für den Erfolg. Im Konsumbereich gibt es eine Pornofizierung, auf der anderen Seite idealisiert man lebenslange Treue. Das sind unsere Parallelgesellschaften. Das sind unsere Probleme. Das kommt nicht von den Türken.

Die Furche: In der Diskussion wird immer wieder die Türkenbelagerung als Grund für die nationalen Vorbehalte angeführt. Ist das eine Schimäre oder ein tiefes Trauma?

Ottomeyer: In der Sozialpsychologie gibt es den Begriff des ausgewählten Traumas. Da werden historische Erfahrungen genutzt, um kollektive Zusammengehörigkeit zu schaffen. Das versucht Strache mit den Türkenbelagerungen. Das hat zwar lächerliche Züge, aber es ist leider nicht nur komisch.

Jörg Haider

Mythos und Erbe

Hrsg. von Klaus Ottomeyer.

Haymon Verlag 2010, 220 S., e 9,95

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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