Hitler Mussolini - © Foto: imago / Gemini Collection

Was ist faschistisch?

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Die Rede von den „Normalen" sei „präfaschistoid“, meinte zuletzt Vizekanzler Werner Kogler. Doch was bedeutet "Faschismus" überhaupt? Und wie erkennt man, ob jemand oder etwas „faschistisch" ist? Eine Analyse nach Umberto Eco, der 14 typische Merkmale definierte.

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Die Rede von den „Normalen" sei „präfaschistoid“, meinte zuletzt Vizekanzler Werner Kogler. Doch was bedeutet "Faschismus" überhaupt? Und wie erkennt man, ob jemand oder etwas „faschistisch" ist? Eine Analyse nach Umberto Eco, der 14 typische Merkmale definierte.

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Der Begriff „Faschismus“ leitet sich vom italienischen fascio (Bund) ab, wobei eine Spur zum Rutenbündel führt, das in der Antike (oft mit Beil abgebildet) als Machtsymbol der römischen Konsuln, Prätoren (Richter) und Diktatoren diente. Amtsdiener, sogenannte Liktoren, trugen es als Zeichen der Herrschaft vor den Regenten her. Im 19. Jahrhundert fungierte das Wort als Erkennungs­zeichen der italienischen Nationalbewegung sowie diverser sozialistischer Arbeiter­organisationen. Erst Mussolini gab den Fasci di combattimento, dem „Kampfbund“, eine unmissverständliche, aggressiv-nationale Bedeutung.

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In der aktuellen parteipolitischen Auseinandersetzung wird der Gegner – eigentlich ein Mitbewerber und potenzieller Partner – mit entsprechenden Eigenschaften bedacht. Schnell fällt man das Urteil, wonach ein Sager oder eine Ankündigung des Konkurrenten „faschistoid“ oder „präfaschistisch“ sei. Nur – wie erkennt man wirklich eine faschistische Tendenz eines Politikers oder einer Partei?

Der Feind: Gleichzeitig stark und schwach

Umberto Eco (1932–2016), Schriftsteller, Philosoph und Kulturtheoretiker, verfasste 1995 den Essay „Urfaschismus“ („Il ­fascismo eterno“), in dem er 14 allgemeine Eigenschaften einer faschistischen Ideologie beschreibt. Eco – er erlebte als Kind noch das Regime Mussolinis – stellt fest, dass die Kennzeichen in der Realität notwendigerweise nicht kollektiv und gleichzeitig auftreten; nichtsdestotrotz würden wenige Merkmale genügen, damit der Faschismus „gerinnen kann“.

  • 1. Unter der Maxime „Kult der Tradition“ huldigt man einer längst vergangenen Epoche, in der alles besser gewesen zu sein scheint. Diese „Gewissheit“ wird mys­tifiziert und als Narrativ mittels Mythen, Riten und Symbolen weitergetragen.
  • 2. Gerade konsequent erscheint demzufolge der Akt einer „Ablehnung der Moderne“: Rationale und liberale Denkstrukturen werden als „verderbt“ oder zerstörerisch gebrandmarkt. Gegen moderne Kunst, aber auch gegen die Erkenntnisse der Wissenschaften richten sich sogar Unverständnis und offene Verachtung (Eliten- und Intellektuellenhass).
  • 3. „Der Kult der Handlung um der Handlung willen“ (…) gibt vor, dass diverse Aktivitäten (Rituale, Bräuche …) an sich einen Wert darstellen und ohne geistige Reflexion organisiert und ausgeführt werden sollen oder müssen.
  • 4. „Uneinigkeit ist Verrat“: Ein kritischer Diskurs über Parteiinhalte wird abgelehnt – vielleicht auch aus Angst, dass eine Analyse etwaige Widersprüche in der „hauseigenen“ Ideologie, die in Form einer synkretischen Weltanschauung aufgebaut ist, aufdecken würde.

Mit einem ‚Neusprech‘ kreiert man schließlich eine einfache Diktion, um das Rüstzeug für komplexes Denken und kritisches Diskutieren zu beschränken.

  • 5. Eine diffuse „Angst vor Differenz“ zeigt sich in der Ablehnung anderer Kulturen, Religionen und fremder Denkformen. Die eigene Lebensart wird als die einzig richtige beziehungsweise den anderen in jeder Hinsicht überlegen dargestellt.
  • 6. Mit dem „Appell an eine frus­trierte Mittelschicht“ versucht man, neue Sympathisanten zu gewinnen. Man gibt vor, zu wissen, wer schuld an deren Situation ist (vgl. Punkt sieben) und hetzt gegen die vermeintlich Verantwortlichen. Gleichzeitig verspricht man den treuen Anhängern (oft Männern aus kleinbürger­lichen Milieus) eine bessere Zukunft. Die Parteigänger ihrerseits finden ihre Identität ausschließlich in der Zugehörigkeit zur populistischen Bewegung, wobei sie sich gerne als (Mit-)Erschaffer einer nationalen Erneuerung sehen.
  • 7. Eine „Besessenheit von einer Verschwörung“ kann auch als Angst vor einer feindlichen Bedrohung gedeutet werden. Politische Gegner, eine „konspirative Elite“, gewisse Kreise im In- und Ausland, internationale Institutionen würden einen Umsturz respektive die „Weltherrschaft“ planen. Als einzige Partei wisse man von den geheimen und dunklen Absichten und könne die hinterlistige Entwicklung stoppen.
  • 8. Faschistische Parteien erklären ihre Feinde als „gleichzeitig zu stark und zu schwach“. Diese etwas irritierende Feststellung Ecos lässt sich rasch aufklären: Zum einen wird die Macht verborgener Kräfte hochgespielt, zum anderen kritisiert man am Gegner eine Dekadenz bzw. Degeneration, die es zu bekämpfen gilt.
  • 9. „Pazifismus ist Handel mit dem Feind“, denn das „Leben ist permanenter Krieg“. Diese hohle Argumentation baut sowohl auf einer Gewaltbereitschaft als auch auf einem Feindbild auf, um vor den Problemen im Land (Krisen aller Art, Kritik der Opposition, des Auslandes …) abzulenken. Der Fokus auf den äußeren Feind soll die Bürger vereinen und auf einen bestimmten Blickwinkel (Kampf um das angebliche „Wahre, Schöne und Gute“ der eigenen Kultur) begrenzen.
  • 10. „Verachtung für die Schwachen“: Ein chauvinistischer, nationaler Volks-Elitismus klassifiziert das Eigene als die Norm und das Gesetzmäßige. Außenstehende seien schon allein deshalb, weil sie anders denken oder aussehen, unterlegen beziehungsweise zurückgeblieben.
  • 11. „Jeder wird erzogen, ein Held zu werden.“ Das Heldische schwankt zwischen Triumph und Niederlage, Leben und Tod. Tragischerweise haben faschistische Führer schon häufiger ihre Todes­sehnsucht an das Volk delegiert und es in den Untergang geschickt.
  • 12. Stichwort „Machismo“: Der ständige Kampf (beziehungsweise die Auseinandersetzung mit den Feinden) sowie die permanente Anstrengung, ein Held sein zu müssen, lassen ein undifferenziertes martialisches Männerbild entstehen, das eine Differenziertheit oder Diversität (Empathie, Emanzipation, Intellektualität, Homosexualität) nicht zulässt.
  • 13. „Selektiver Populismus“: In der faschistischen Ideologie steht das Volk oder der vermeintliche Volkswille über dem Individuum und seinen Wünschen. Der Parteivorsitzende gibt vor, ausschließlich dem Volkswillen zu dienen, obwohl er selbst autokratische Züge trägt. Anderen demokratischen Institutionen (Parlament, Gerichte, Medien, NGOs …) sprechen die Faschisten die Fähigkeit ab, das Volk zu repräsentieren.
  • 14. Mit einem „Neusprech“ („Newspeak“, vgl. George Orwell) kreiert man schließlich eine einfache Diktion (mit banalen Slogans), um das Rüstzeug für komplexes Denken und kritisches Diskutieren zu beschränken. Die Freiheit des Verstandes und die mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache werden so bewusst unterdrückt.

„Frische und Dynamik“ als neue Tugenden

Faschistische Ideologien richten sich in der Regel gegen marxistische, liberale und konservative Weltanschauungen, also eigentlich gegen alle anderen Parteien, wobei ihre politische Stoßrichtung als demagogisch, militaristisch und antiaufklärerisch bezeichnet werden kann. Merkmale wie das maskuline Prinzip und eine gewisse Jugendlichkeit deuten weiters darauf hin, dass man als Kontrast zu den Gesinnungen einer „verkommenen Elite“ neue Tugenden wie „Frische, Dynamik und Tatendrang“ präsentieren will.

In einschlägigen Kreisen diskutiert man gegenwärtig eingehend gewisse Demütigungen und eine Opferrolle der eigenen Gemeinschaft und zählt mit EU, NATO, UNO, WHO und den USA rasch einige Sünden­böcke auf. Wiederholt werden triviale wie irrationale Lösungsansätze („Kulte der Einigkeit, Echtheit und Stärke“, „Kampf gegen das Fremde“) aufgewärmt, wobei man fortwährend die eigene Nation und vor allem „das Volk“ mystisch überhöht. In den Reden der Parteigrößen schwingt beständig sowohl ein Totalitätsanspruch an die Gesellschaft mit – als auch ein aggressiver Fanatismus.

Der geneigten Leserin, dem Leser sei es nun überlassen, welche Parteien und Politiker er in seinem Blickfeld als faschistoid erkennen und entlarven würde. Gerade wer von der Demokratie als immer noch beste Regierungsform überzeugt ist, ist gut beraten, faschistische Einflüsse bzw. Einflüsterer genau und aufmerksam zu beobachten: Vorsicht und Wachsamkeit gegenüber den Eigen­schaften, die Umberto Eco als Abbildungen des Urfaschismus skizziert hat, erscheinen heute auf jeden Fall angebracht.

Der Autor ist Musikwissenschafter in Salzburg und betreut interdisziplinäre Crossover-Projekte.

Hinweis: Dieser Artikel ist unter dem Titel "Die mythische Erhöhung" in der Print-Ausgabe der FURCHE vom 2. August 2023 erschienen.

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