Albert, der Meta-Physiker

Werbung
Werbung
Werbung

Auch wenn Einstein nicht an einen personalen Gott glaubte: Eine rein materialistische Physikauffassung war ihm fremd.

Albert Einsteins Persönlichkeit kann von verschiedenen Seiten her beleuchtet werden. Als Physiker von säkularem Rang wird er allgemein anerkannt. Auch seine politischen Überzeugungen und sein Wirken erhielten die gebührende Aufmerksamkeit. Viel weniger wurde er als Metaphysiker gewürdigt, vielleicht weil er sich nicht so bezeichnete. Allerdings sollte man ihn auch in dieser Hinsicht ernst nehmen, denn man findet bei Einstein durchaus bemerkenswerte Überlegungen zu den metaphysischen Grundlagen der Physik und ihrem Verhältnis zur Religion. Heute ist es allerdings üblich, Materialismus und Naturwissenschaft in direkten Zusammenhang zu bringen, so als müsste jemand, der Physik treibt, notwendig auch Atheist sein.

Geist als Registriermaschine

Die Geschichte des szientifischen Atheismus reicht zurück bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals versuchten Philosophen des "Wiener Kreises" wie Moritz Schlick, Otto Neurath, Philipp Frank und Rudolf Carnap, eine "wissenschaftliche Weltanschauung" zu begründen, die jede Metaphysik und Religion überflüssig machen würde. Sie gingen davon aus, dass die einzige Quelle und der einzige Inhalt der Wissenschaft in den materiellen Affektionen unserer Sinne bestünde. Auch der menschliche Geist sollte über keine spontanen Fähigkeiten verfügen, sondern nur eine Art von passiver Registriermaschine sein. Der amerikanische Philosoph Willard Van Orman Quine hielt diese These noch bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren aufrecht.

Einstein hat diese materialistischen Physikauffassungen wohl gekannt, aber ganz entschieden abgelehnt - und zwar mit sehr guten Gründen. Er, der wirklich innovativ war, wusste, dass keine Theorie jemals so entsteht, dass der Physiker Sätze über Sinnesdaten logisch umformt, um zu Theorien zu gelangen, sondern es ist nach Einstein gerade umgekehrt: Die Idee steht am Anfang. In ihr steckt ein überschießendes Moment. Die Idee ergibt sich weder aus der bloßen Affektion der Sinne, noch aus dem begriffslosen Starren auf das Experiment. Vielmehr ist der Geist spontan, schöpferisch, aktiv und innovativ und nicht nur der passive Reflex dessen, was ohnehin schon existiert.

Mehr als das: Einstein glaubte, dass der Geist eine Affinität zum Geist hat, der der Welt zugrundeliegt. Nur so konnte er erklären, dass die Physiker oft Zusammenhänge entdecken, die experimentell noch nicht abgesichert und von der Theorie her höchst unwahrscheinlich sind. Tatsächlich wissen wir aus der Physikgeschichte, dass im Jahr 1905, als Einstein seine Spezielle Relativitätstheorie in Bern entdeckt hatte, zwei konkurrierende Theorien auf dem Markt waren, die mit den damaligen experimentellen Ergebnissen viel besser verträglich waren als seine eigene. Noch dramatischer war die Situation, als er 1916 zur Allgemeinen Relativitätstheorie überging. Für diese Theorie fehlten lange Zeit die Belege. Schließlich hatte der englische Astrophysiker Arthur Eddington während einer Sonnenfinsternis im Jahr 1919 die Möglichkeit, die von Einstein vorhergesagte Ablenkung des Sternenlichtes im Gravitationsfeld der Sonne zu messen.

"Mir hätte Gott Leid getan"

Alle Physiker auf der Welt warteten gespannt den Ausgang dieses "experimentum crucis" ab. Alle - außer Einstein. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, das Radio anzuschalten. Als ihm eine Mitarbeiterin aufgeregt berichtete, dass seine Theorie durch Eddingtons Messungen bestätigt worden war, nickte er zustimmend mit dem Kopf, ohne sich sonderlich aufzuregen. Seine Mitarbeiterin wurde ungeduldig und fragte den Meister: "Was hätten Sie denn gemacht, wenn die Experimente anders ausgegangen wären?" Daraufhin Einstein trocken: "Dann hätte mir Gott Leid getan."

Einstein war a priori von der Wahrheit seiner Theorie überzeugt. Er glaubte an die Einfachheit und Schönheit der Natur, wie vor ihm Galilei und Newton. Der Physiker Einstein war also zugleich ein Metaphysiker und daher alles andere als ein Materialist. Seit dem "Wiener Kreis" haben sehr viele Wissenschaftstheoretiker das Märchen von der vorgeblich materialistischen Physik verbreitet, vielleicht mit Ausnahme von Popper, der sich hierin an Einstein orientierte.

Der Geist der Schönheit und Einfachheit in der Natur war für Einstein zugleich der Geist Gottes - und es ist keine bloße Metapher, wenn Einstein oft vom "Geheimnis des Alten" sprach. Allerdings war dieser "Alte" kein personaler Gott. Einstein hatte als Jude für kurze Zeit eine religiöse Erziehung in der Synagoge und auf einem Münchner Gymnasium sogar eine gewisse katholisch-christliche Erziehung erhalten, sich aber später völlig von der jüdisch-christlichen Gottesvorstellung distanziert. "Gott" war für ihn lediglich der Garant der Weltordnung, die er sich starr und unveränderlich dachte. Sein Gott war der Gott Spinozas, der auch an ein zeitloses Reich der Ideen glaubte.

Begrenzte Willensfreiheit

Der späte Einstein bezeichnete die Zeit und alles Werden als eine bloße Illusion. Als Determinist ließ er auch keine Willensfreiheit gelten. Max Born machte ihn frühzeitig auf den Widerspruch aufmerksam, der darin bestand, dass Einstein als politisch-praktisch Handelnder an Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschen appellierte, als theoretisch Reflektierender aber den Menschen eben diese Freiheit wieder absprach.

Hier liegt eine Grenze seiner Metaphysik. Hätte er seine eigene Praxis auch theoretisch ernst genommen, dann hätte er seinen Physikalismus begrenzen und durch eine personale Auffassung ergänzen müssen. Vielleicht wäre ihm dann der jüdisch-christliche Gedanke, wonach auch Gott Person ist, nicht so fremd geblieben.

Der Autor ist Privatdozent für Natur- und Technikphilosophie an der Universität Frankfurt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung