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Die Tugend bewirkt Freude
Ermutigend und motivierend soll das Reden von der christlichen Moral sein. Das forderte kürzlich der neue Wiener Erzbischof-Koadjutor...
Ermutigend und motivierend soll das Reden von der christlichen Moral sein. Das forderte kürzlich der neue Wiener Erzbischof-Koadjutor...
Kaum ein kirchliches Thema hat in den vergangenen Jahren für so viel Konfliktstoff gesorgt wie die katholischen Normen der Sexual- und Ehemoral, die in einer weltanschaulich pluralistischen Wohlfahrtsgesellschaft in zunehmen -dem Spannungsverhältnis zur Lebensrealität großer Teile der Bevölkerung stehen.
Die Gefahr ist nicht zu übersehen, daß „katholische Moral” bei vielen sich auf Verbote im Sexualbereich reduziert. Grund dafür ist die heute üblich gewordene, solche Bereiche bevorzugende Berichterstattung, aber wohl auch die zu einseitige Betonung dieser Themen in der kirchlichen Verkündigung. Die gegenwärtigen Erschütterungen in der Kirche können zum positiven Anstoß für eine dringende Neubesinnung in der katholischen Moralverkündigung werden.
Auch in der katholischen Moral-theologie des 19. Jahrhundert - und bis weit in unser Jahrhundert hinein - gab es unleugbar ein Übergewicht der Sexualmoral gegenüber dem Ganzen sittlichen Lebens. Geht man noch weiter zurück, so zeigt sich, daß seit langem die Moraltheologie einseitig „kasuistisch” auf das Erlaubte und Verbotene ausgerichtet war - mit detaillierten Grenzangaben.
Moral ist aber mehr als eine Summe von Geboten und Verboten. Sie hat etwas mit gelungenem Leben zu tun, mit dem, wonach es das Herz verlangt (wenn es ihm gelingt, im Tumult der Leidenschaften und im Lärm der Zeit sich Gehör zu verschaffen). Aristoteles, Piaton, Augustinus, Thomas sahen die Moral als einen Weg zum „glücklichen” Leben.
Dazu sind Gebote und Verbote höchstens Wegweiser, der innere Kompaß aber ist jenes Gespür für das Richtige, das wir „Gewissen” nennen. Der Hauptakzent dieser „klassischen” Moral, die seit Kants bloßer Pflichtenethik und seit der katholischen Kasuistik vergessen oder vernachlässigt worden ist, liegt auf den „Tugenden”, auf Haltungen, die das menschliche Leben aufbauen, zur Reife und Erfüllung bringen, es im Ergebnis „gelingen” lassen. Es geht dabei nicht um äußerlich verordnete Gebots- und Verbotskataloge, sondern um das Einüben menschlicher Grundhaltungen, aus denen das richtige, auch beglückende Handeln und Verhalten zur spontanen Reaktion, zum inneren Bedürfnis und nicht bloß zur äußeren Pflicht wird. Anders als Kant sagen die „Klassiker”: Tugend bewirkt Freude.
Wir haben die große Tradition der christlichen „Meister des Lebens” verlernt, für die die christliche Moral Ausdruck einer „Lebenslehre”, des dynamischen, vielgestaltigen Weges ist. Wir haben stets das hohe Ziel des Menschen verkündet, ohne das es keinen Weg, keine Orientierung gibt, wir haben aber zu wenig die Wege dorthin gesucht: alles, was die menschliche Persönlichkeit erst in den Stand setzt, ihr Ziel zu erreichen, was sie aufbaut, was sie beziehungsfähig macht, oder, um es mit dem einfachsten Wort der Ethik zu bezeichnen, was den Menschen „gut” macht.
Es ist wichtig, das unverkürzte Ideal zu zeigen, aber es ist entmutigend, wenn nicht zugleich die Stufen und Grade der Annäherung, die Etappen des Wachsens und Reifens, das Umgehen mit Versagen und Scheitern gezeigt werden. Die Kirche hat nicht nur den Auftrag, das hohe Ziel sittlichen Lebens zu verkünden, sondern auch mit großer Aufmerksamkeit die Spuren gelebter Sittlichkeit überall dort auszumachen, wo nicht das ganze Ideal verwirklicht ist, wo aber in konkreten Lebenswirklichkeiten, die äußerlich weit vom christlichen Ideal entfernt sein mögen, tatsächlich Gutes geschieht, wo nach einem oftmals beeindruckenden inneren sittlichen Anspruch gehandelt wird. Jedes noch so kleine Gute ist Anlaß zur Freude, weil es im Fragment die Größe des schlechthin Guten ahnen läßt.
Wir haben uns in den vergangenen Jahren auf einige (Reiz-)Themen einengen lassen. Wir haben dabei übersehen, daß diese Themen erstaunlich an Einsehbarkeit gewinnen, wenn sie aus ihrer Engführung gelöst und nicht nur duith äußere Gebote und Verbote reglementiert werden. Zu einer echt menschlichen Sittlichkeit gehört die Einsicht, die Zustimmung dazu, daß dies für mich gut ist. Neubesinnung auf die Weite und Lebendigkeit einer ermutigenden und motivierenden christlichen Moral tut der Kirche dringend Not. Besinnung darauf, daß diese Moral zum Gelingen einer wirklich menschlichen Gemeinschaft beiträgt, tut unserer orientierungsarmen Gesellschaft genauso Not.
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