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In die „dicke Luft“ des Alltags hinein!

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Es wird heute nicht mehr so sehr „über“ den Glauben gestritten. Es wird nicht mehr der Glaube gegen einen anderen Glauben verteidigt („Apologetik“ im alten Sinn). Heute ist der Glaube in unserer säkularisierten (verweltlichten) Welt als solcher in Frage gestellt. „Apologetik“ - Glaubensverteidigung - ist deshalb in einem anderen umfassenden Sinn nötig.

Der Christ muß wissen: Wie sieht die Welt aus, in der er heute lebt? Und: Wie kann er dieser Welt gegenüber seinen Glauben vertreten? Sich gegen Angriffe verteidigen? Und: Wie kann er dieser Welt zeigen, welchen Sinn und Wert - für die Welt! - sein Glaube hat?

Die Kirche kann sich in ihrer Bedrängnis weitgehend nur auf jene einzelnen verlassen, die willens und - mit der Gnade Gottes - auch imstande sind, die christliche Wahrheit glaubwürdig zu verwirklichen, die, mit einem Wort gesagt: Zeugnis geben. Es gibt heute kein Gehege mehr, in dem man sich als Christenmensch vor der Bewährung in dieser Welt bewahren könnte.

So lebt der Mensch von heute in einer Doppelfunktion:

■ Einmal ist er ein Mensch des Du, ein menschlicher, mehr noch, ein mitmenschlicher Mensch, der sich für die anderen verantwortlich fühlt

■ Zum anderen ist er im Apostolat eine Antwort auf die Situation der Kirche, die sich der Welt neu erschließen will.

Es wäre ein völliges Mißverständnis, wenn man die Aufgabe des Apostolats im weltlichen Bereich in einer bloßen Wiederherstellung gewesener Ordnungen sähe. Wir müssen neue Formen des Apostolates und der Seel-

sorge geradezu erfinden. Wir brauchen ein Apostolat der Brüderlichkeit, ein Apostolat der Geselligkeit, ein Apostolat der Freude, ein Apostolat der Muße, ein Apostolat der Gastfreundschaft. In einer Freizeitgesellschaft, die in Gefahr steht, von einer industrialisierten Lebensfreude überwältigt zu werden, ist mit der „Konkurrenz“ kirchlichen „Betriebes“ nichts getan.

Das Christliche ist in jedem Augenblick etwas umwälzend Neues, weil es aus einer anderen Welt kommt, weil es Offenbarung des lebendigen Gottes ist. Die Revolution der Christen kommt von innen statt von außen; von oben statt von unten, gewaltlos statt mit Blut; aus dem Herzen statt aus dem Hirn.

Wir erlebten in den letzten sechs Pontifikaten eine innerkirchliche Erneuerung von nie geahntem Ausmaß. Stichwortartig: Die eucharistische Bewegung, die liturgische Bewegung, die Bibelbewegung, die Besinnung der Theologie auf ihre Quellen, die christo-zentrische Frömmigkeit, die Orden ohne Klöster (Säkularinstitute), die Neuverwirklichung des franziskani-

schen Ideals, die Entdeckung der weltweiten Mission der Kirche, die Methoden des Laienapostolats, den Ansatz zu einer spezifischen Laienspiritualität, die Öffnung zu den Andersund Nichtgläubigen!

Heute ist von der Kirche eine restlose Hilfsbereitschaft gefordert für die Notstände der industriellen, der Wohl-fahrts-, der Wohlstands-, der Konsum-, der Arbeits-, der Freizeit-, der Massen-und Bildungsgesellschaft. Gerade wir Katholiken müssen die Demut aufbringen, uns aus der „herrlich dünnen“ Luft des Grundsätzlichen in die „dicke“ Luft des mühseligen Alltags hinein zu begeben, wo es auf das jeweils sachrichtige Verhalten ankommt.

Jeder einzelne Christ steht heute unter der Kontrolle einer oft mißtrauischen und nur selten wohlwollenden Welt. Erst wenn wir uns durch Hilfsbereitschaft und sachliche Qualifiziertheit glaubwürdig gemacht haben, sind die NichtChristen bereit, das Mehr, das wir zu bieten haben, unter Umständen zur Kenntnis zu nehmen. Die Kirche,

das Volk Gottes, darf den Menschen dieser Zeit nicht so sehr hochwürdig, sondern eher liebenswürdig erscheinen. J

Die Kirche wird auch unglaubwürdig, wenn christliche Organisationen, Gruppen, Verbände sich in wichtigen Fragen nicht an jenen Kurs halten, an den die Kirche aufgrund ihres Glaubens gebunden ist. Soll die Stimme der Kirche gehört werden und Gewicht haben, so muß sie ihre Geschlossenheit in Fragen der Glaubenslehre wie der auf ihr beruhenden Ethik stets konsequent unter Beweis stellen.

Die Welt braucht eine Kirche, die Vertrauen zu sich selbst hat und Sicherheit ausstrahlt, nicht aber eine Kirche, die sich hektisch durch immer ' neue Veränderungen der Zeit anpassen will, weil sie meint, sonst unattraktiv zu sein.

Auch der Mensch von heute erwartet von der Kirche Antwort auf die Fragen nach dem Sinn und Ziel seines Lebens, nach der Rangordnung der Werte. Er möchte wissen, wie es um die Beziehung zwischen Mensch und Gott steht; was er erwarten darf, wenn seine irdische Existenz zu Ende geht.

Er erwartet von der Kirche nicht, daß sie seine Probleme auf der irdischmenschlichen Ebene löst, sondern daß er durch den Glauben fähig wird, selbst die richtigen Entscheidungen und Lösungen zu finden. Er will auch • nicht, daß es ihm die Kirche möglichst bequem macht. Er sucht die Herausforderung durch den Glauben, den die Kirche vertritt, und der Anstrengungen, Verzicht, ja Askese verlangt. Die Kirche soll ihm helfen, dem Ziel näherzukommen. Er ist von ihr enttäuscht, wenn sie ihn nicht weiterbringt.

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