Mystische und mythische Bilder

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Engel haben Religionen, Maler, Dichter, Komponisten und Filmemacher inspiriert. Ein kleines Lexikon erzählt davon.

Hat man Ihnen als Kind erzählt, Sie hätten einen Schutzengel? Wenn ja, dann sind Sie in eine uralte Tradition hineingestellt worden. "Während heute vom Wirken der Engel im Kosmos und in der Völkergeschichte kaum noch die Rede ist, hat sich der Glaube an ihren Beistand im persönlichen Bereich als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Er reicht quer durch die Konfessionen und ist auch vielen Menschen, die den Kirchen fern stehen, nicht fremd", schreibt Heinrich Krauss, promovierter Jurist, Philosoph und Theologe, in seinem neuesten Buch "Kleines Lexikon der Engel".

Ist die Angelologie, die Engellehre oder Engelkunde, nicht ein etwas abseitiges Thema? Dieses Lexikon, "Von Ariel bis Zebaoth", belehrt in unaufdringlicher Weise (aber in ganzen Sätzen, nicht nur stichwortartig) eines Besseren. Im Hinduismus, Buddhismus, Islam und vor allem im Judentum gibt es das, was wir Engel nennen: Geistwesen, die zwischen der Sphäre der Gottheit und dem menschlichen Bereich beheimatet sind. Bei den alten Griechen und Römern war es der Götterbote Hermes/Merkur, der Botschaften an die Sterblichen überbrachte. In der Bibel finden sich an guten Engeln nur drei: Michael, Gabriel und Raphael, an bösen Geistern ebenfalls nur wenige wie Satan, Beelzebub oder Aschmodai. Woher kommen dann die großen himmlischen Heerscharen, von denen insgesamt mehr als 6.000 sogar Namen besitzen? Heinrich Krauss weiß die Antwort: "Die meisten Engelnamen stammen nicht aus den jüdisch-christlichen oder islamischen Offenbarungsschriften, sondern aus vielerlei anderen Quellen."

Die Ausgestaltung der Engelvorstellungen ist eine Leistung des Mittelalters: Damals wurden große Bücher geschrieben über die Gattungen der Engel, ihr Wirken in der Natur und im Leben des Menschen, ihre Sprache (Hebräisch!). Große Geister wie Origenes, Augustinus, Dionysios Areopagita, Papst Gregor und Thomas von Aquin, mit Beinamen Doctor angelicus (engelgleicher Gelehrter) präzisierten das Bild der Engel. Auf jüdischer Seite verlief die Entwicklung ähnlich.

Herausragende Rabbiner, also Gelehrte, allen voran Maimonides (1135 - 1204) befassten sich mit der Engellehre. Daneben entstand die mystische Richtung der Kabbala, die den Weg zu Gott mit Hilfe der Engel beschreitet.

"Sagt mir doch nicht/ Es gäbe keine Engel mehr/ Wenn Ihr die Liebe gekannt habt/ Ihre rosigen Flügelspitzen/ Ihre eherne Strenge." Ein Gedicht der deutschen Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz. Wer konfessionslos aufgewachsen ist, wird mit dem neuen Lexikon seine wahre Freude haben, kann er doch mit seiner Hilfe ein wenig eindringen in die abendländische Kunstgeschichte. Man mache nur ein kurzes Gedankenexperiment, indem man im Geist sämtliche Engel aus den Bildern von Cimabue und Giotto, Rembrandt und El Greco, Gustave Dore, Ernst Barlach, Marc Chagall, Lovis Corinth, Max Beckmann und Paul Klee entferne. Dazu alle Engeldarstellungen in mittelalterlichen Handschriften, den Uriel von der Spitze des Campanile auf dem Markusplatz in Venedig - und schon erkennt selbst der Engel-Unkundige, was da vorhanden ist.

Dazu nehme man noch die Filme von Pasolini und Ingmar Bergmann, Wim Wenders "Der Himmel über Berlin", in dem der große Bruno Ganz einen Engel spielt - und dann bedarf es keines weiteren Beweises mehr für die Bedeutung der Angelologie als kulturgeschichtliches Phänomen.

Und erst die Dichter, allen voran Rilke (bei den Engländern John Milton): Für Rilke ist der Engel "das zum mystischen Bild gewordene Maß, von dem sich das begrenzte und vielfach gebrochene Sein des Menschen abhebt." Wie schrieb er in den "Duineser Elegien": "Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge vor seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich."

Kleines Lexikon der Engel. Von Ariel bis Zebaoth.

Von Heinrich Krauss: Verlag C. H. Beck, München 2001, 218 Seiten, brosch., öS 145.-/e 10,54

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