Prüfstand der Zivilisation

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In den Auseinandersetzungen um den aktuellen Terrorismus gibt es keine klaren "Wahrheiten". Plädoyer fürs Querdenken -auch eigenen Positionen gegenüber.

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In den Auseinandersetzungen um den aktuellen Terrorismus gibt es keine klaren "Wahrheiten". Plädoyer fürs Querdenken -auch eigenen Positionen gegenüber.

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"Nach dem Terror": So übertitelte die FURCHE vor Monatsfrist ihre Berichterstattung zu den Pariser Anschlägen. Ein Titel - so wahr wie gleichzeitig falsch: Die Attentate von Kopenhagen am letzten Wochenende führen vor Augen: Von "nach dem Terror" im Sinn eines Endes der Gewalt kann keine Rede sein. Die Schwierigkeit in der Betitelung zeigt das Dilemma der gegenwärtigen Auseinandersetzung an, ja es handelt sich sogar um die Paradoxie, dass etwas, was zu sagen ist, zugleich eine andere Wahrheit verdunkelt.

Gegen den bis dahin publizierten Mainstream hat die FUR-CHE nach den Pariser Anschlägen engagiert dafür geworben, die Befindlichkeiten aller Seiten im Blick zu haben, und dass sogar die Meinungsfreiheit Grenzen hat, wenn sie die Menschenwürde verletzt. Und doch kann es nicht sein, dass - siehe Kopenhagen -eine Diskussionsrunde, die sich mit diesem Themenkomplex befasst, von einem Gewalttäter gestürmtwird, der Mord und Totschlag verbreitet. Es ist nicht möglich, von der Rede-und Diskussionsfreiheit Abstriche zu machen. Hinter diese zivilisatorische Errungenschaft kann nicht zurückgegangen werden.

Christen sollten keine Blasphemievorwürfe erheben

Es handelt sich in dieser Facette des Diskurses auch nicht um eine Frontstellung religiös vs. säkular. Sondern gerade ein Christenmensch muss da auf die Freiheit pochen. Und er kann religiöse Anfangs-Erfahrung heranziehen: Das Christentum kennt von seiner Gründungsgestalt her Verspottung und Blasphemie, die Hinrichtung Jesu erfolgte nicht zuletzt aufgrund von Blasphemievorwürfen. Schon von daher sollten sich Christen weitgehend des Blasphemievorwurfs anderen gegenüber enthalten - auch wenn eine derartige Haltung den institutionellen Kirchen erst in Jahrhunderten abgerungen werden musste.

Christen können und müssen selbstbewusst ihr Bild eines Gottes, der von Menschen nicht zu "beleidigen" ist, als zivilisatorische Leistung ersten Ranges verteidigen: Was wäre das für ein Gott, der den Menschen zu seiner Verteidigung braucht?

Mit "Blasphemie"-Gerufe wird auch längst Politik gemacht, um missliebige Kritik zu unterbinden: Man muss etwa das "Design" der Moskauer Proteste von Pussy Riot nicht goutieren, aber deren Mundtotmachung per Strafrecht zeigt bloß, dass der Protest fundiert war, weil sich da die Religionsinstitution mit dem Autokraten im Bett wiederfindet. Aber nie und nimmer darf Gott zum Werkzeug der Machthaber degradiert werden.

Sich auf gemeinsame religiöse Erfahrung besinnen

Man soll nicht naiv sein: Diese Diskussion wird im und mit dem islamischen Kulturkreis nicht einfach zu führen sein. Aber um dem Teufelskreis der Gewalt, in den ganze Weltgegenden - auch Europa! - zurzeit schlittern, zu durchbrechen, ist diese Auseinandersetzung unabdingbar. Es wäre ein zivilisatorischer Meilenstein, könnte man sich darauf verständigen, dass Gott, welcher Religion auch immer, keine Toten in seinem Namen braucht. Allen drei monotheistischen Weltreligionen ist bekanntlich ein Ur-Narrativ gemeinsam: Die Geschichte von Abraham, von dem Gott dann doch nicht den Sohn fordert, findet sich sowohl in der Bibel als auch im Koran. Menschheitsgeschichtlich gilt diese konstitutive Religionserzählung als Aufweis der Abkehr vom Menschenopfer: Der Gott Abrahmas braucht keinen rituellen Mord.

Derartige uralte, aber gemeinsame religiöse Erfahrung könnte den unterschiedlichen monotheistischen Religionen helfen, sich auch faktisch auf einen zivilisatorischen Standard zu verständigen: Dass nämlich religiös legitimierte Gewalt allen lebbaren Religionen widerspricht.

All dem ist ein Ceterum censeo hinzuzufügen: Denn in den islamistisch-salafistisch-dschihadistischen Gewaltaktivitäten hat fast beiläufig auch terroristischer Antisemitismus Einzug gehalten: Dass 70 Jahre nach dem Ende der Schoa in Europa wieder Synagogen brennen, ist am allerwenigsten hinzunehmen.

otto.friedrich@furche.at

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