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Quadratur des Friedens

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BAT DER MENSCH NOCH EINE ZUKUNFT? Von Bertrand Russell. Kindler-Taschen-Wiener Nr. 11. Kindler-Verlag, München, 1U68. 11g Seiten. Preis 2.50 DM

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BAT DER MENSCH NOCH EINE ZUKUNFT? Von Bertrand Russell. Kindler-Taschen-Wiener Nr. 11. Kindler-Verlag, München, 1U68. 11g Seiten. Preis 2.50 DM

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Der 91jährige Earl Bertrand Russell, Mathematiker und Soziologe, 1950 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, des öfteren in Konflikt mit Kirche und Regierung, steht im Rufe so mancher allgemein Widerspruch auslösender Äußerungen. Wenn man aber seine gedruckten Schriften, wie „Hat der Mensch noch eine Zukunft?“, zur Hand nimmt, muß man zugestehen, vielfach zu Unrecht. Russell ist objektiv, erkennt Fehler rechts wie links, läßt anderen ihre Meinung, hält aber mit der eigenen noch so sonderbaren nie zurück. Er hat jedenfalls ein Recht darauf, in der Welt gehört zu werden, mag er auch den Fehler besitzen, daß er als Gelehrter die hohe Politik meistern will, die er mathematisch eindeutig vor sich sieht. Seine Ansicht ist, wenn nur alle Menschen guten Willens sind, dann gäbe es keine unlösbaren Streitfragen und alles in der Welt wäre so einfach wie zwei mal zwei. Nach Russell sind die Menschen — eine „andere Tierart“ — entweder gutwillig oder Verbrecher, und die letzteren seien es, die das irdische Paradies verhindern, das möglich ist, denn „wir brauchen gar nicht auf den Himmel zu warten“. Der Earl sieht düster: „Entweder verschwindet der Krieg oder die gesamte Zivilisation der Menschheit verschwindet..., daß in einem Krieg beide Gegner unterliegen müssen...,daß der wissenschaftlich gerüstete Mensch, wenn nicht etwas Grundlegendes geschieht, eine zum Untergang verurteilte Spezies ist..., daß die Kernwaffen auch den Neutralen ungeheuren Schaden zufügen.“ Eine ganz besondere Gefahr erblickt Russell in der Möglichkeit der zufälligen Auslösung eines Atomkrieges, der die ganze Menschheit vernichten würde. Aus dieser Betrachtung ergeben sich für den Autor, der an wirksame Zusammenarbeit mit ' den Russen glaubt, sofern beide Teile wirklich wollen, folgende Wege zur Rettung der Welt aus der augenblicklichen Gefahr: Einstellung der Kernwaffenversuche, Verbot weiterer Herstellung solcher Waffen mit Kontrollsystem, „der Osten und der Westen müßten aufhören, einander zu hassen und zu fürchten“, Einrichtung einer Weltregierung mit einer internationalen Streitmacht, in -der die Einheiten aus allen Nationen zusammengesetzt und von Vertretern der kleinen Länder angeführt werden; diese Streitmacht hätte die Aufgabe, gegen widerspenstige Teile des Weltstaates Strafmaßnahmen — natürlich auch mit Atombomben — durchzuführen. Der Kreis schließt sich hier; man ist wieder beim Krieg, wenn auch in anderem Kleid, und die Feldherren sind wieder die „Schlächter“ (S. 12) und die Patrioten wieder die „Mörder“ (S. 90).

Der Leser darf sich an dieser Quadratur des Friedens nicht stoßen; er soll über die reichlich abgewandelten und uralten Weltfriedensvorschläge hinweggehen, die nichts Neues sagen; er soll sich auch nicht zuviel darüber wundern, wie gerade ein Soziologe die Natur der Menschen so gründlich verkennt. Von Interesse ist die Wiedergabe vieler Gelehrtenmanifeste gegen Krieg und Rüstung, dann von zahlreichen Resolutionen prominenter Männer und Vereinigungen in der Friedensfrage. Ein zweifelloses Verdienst bleibt Russell durch das eindringliche Aufzeigen der tatsächlich in der Welt von heute bestehenden Gefahren, die uns alltäglich bedrohen und die ganz bestimmt von vielen verantwortlichen Männern in den Regierungen gar nicht recht erfaßt werden. Auf Warner wie Russell einer ist, der einen Namen hat und der als Mensch sicher das Beste für seine Mitmenschen will, sollte gehört werden, sowenig man sich mit manchen seiner konkreten Vorschläge zur Abwendung der Gefahr identifizieren kann.

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