Staatszerfall und neue Kriege

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Der Politikwissenschafter Herfried Münkler im Gespräch über die Wandlung des Staatsbegriffs, die Entstaatlichung des Krieges und neue Gefahren.

Lange Zeit war Kriegsführung ein Monopol des Staates. Damit verbunden war auch die Hoffnung, dass Kriege einst der Vergangenheit angehören könnten. Das hat sich indes als trügerische Hoffnung herausgestellt, vor allem in den Elendsgegenden der Welt.

DIE FURCHE: #Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf#, heißt es in Thomas Hobbes# #Leviathan#. Ein zu pessimistischer Befund?

Herfried Münkler: Ich würde diesen Satz nicht als einen Protokollsatz, der die Wirklichkeit beschreibt, für mich gelten lassen. Aber die relative Wahrheit dieses Satzes liegt darin, dass derjenige, der über Staat und Politik nachdenkt, immer in Rechnung zu stellen hat: Der Mensch könnte dem Menschen ein Wolf sein. Ich glaube, in diesem Sinne ist Hobbes auch zu verstehen. Der einzelne Mensch muss damit rechnen, dass jeder andere Mensch ihm ein Wolf sein kann. Hobbes spricht damit einen gewissen Egoismus an und das Nicht-an-andere-Menschen-Denken. Natürlich aber auch die Fähigkeit des Menschen, andere Menschen #zu reißen und zu beißen#.

DIE FURCHE: Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen der klassischen antiken Polis (dem griechischen #Stadtstaat#; Anm.) und dem modernen Staat?

Münkler: Die Polis war eine Gemeinde bzw. eine Gemeinschaftsbildung, in der eine Fülle von Bindungsstrukturen zusammengewirkt hat. So zum Beispiel politische, aber auch religiös-kultische und ökonomische Strukturen. Einige dieser sozialen Bindungsstrukturen hat der institutionelle Flächenstaat # der im Verlauf des 20. Jahrhunderts zur weltweit dominanten Form politischer Ordnung geworden ist # entpolitisiert. Denn der moderne Staat hat eine Vorstellung davon, wie diese Bindungen in permanente Konkurrenz und auch in direkte Feindschaft ausufern können. Durch diese Entpolitisierung sollten diese Bindungen nicht mehr zerstörerisch wirken. Der moderne Staat hat sie gewissermaßen in den privaten Bereich abgedrängt. Wichtigstes Beispiel ist die konfessionelle Bindung des Menschen in Europa. In der Polis war die Religion zumeist politisch vorgegeben, und vor noch gar nicht allzu langer Zeit haben vor allem im deutschsprachigen Raum Protestanten und Katholiken Krieg gegeneinander geführt. Heute kann man sagen, dass dieser religiöse Bereich vom allgemein politischen Bereich in den privaten Bereich neutralisiert wurde. Der Staat in Europa mischt sich nicht mehr bzw. kaum in die Religion seiner Bürger ein.

DIE FURCHE: Sie unterscheiden in Ihren Untersuchungen zwischen den Begriffen des Territorialstaats und des Nationalstaats. Wie ist diese Differenzierung zu verstehen?

Münkler: Der Territorialstaat bezieht sich im Prinzip nicht auf nationale Qualitäten. Die alte Donaumonarchie war ein Territorialstaat mit unendlich vielen Nationalitäten. Ebenso auch der damalige preußische Territorialstaat. Die Staatsmodelle von Nation und Territorium konkurrieren miteinander. Die Kriege des 18., 19. und teilweise auch des 20. Jahrhunderts und auch viele politische Entwicklungen wie jene in der damaligen Tschechoslowakei sind eine Herstellung von neuen Nationen gewesen, bei denen Territorium und Nationalität zur Deckung gebracht werden sollten. Dabei fallen bekanntlich auch viele Gruppen unter den Tisch. Denken wir dabei nur an das Problem eines jüdischen Staates.

DIE FURCHE: In Ihrem Vortrag haben Sie auch über den Zerfall von Staaten gesprochen. Sehen Sie darin eine Gefahr für die Staaten in Europa?

Münkler: Das Thema des Staatszerfalls ist vor allem außerhalb Europas ein großes Problem, am Rande der Wohlstandszone. Vor allem in Afrika und auch Teilen Südamerikas, Südostasien etc. Wenn heute in einigen Teilen der Welt Staatszerfall beobachtet wird, so hat dieser in der Regel mit einer Erosion des Dienstethos begonnen. Die Beamten haben sich für Bestechungen, Familien- und Stammesbindungen sowie Parteiloyalitäten zugänglich erwiesen. Thomas Hobbes hat die Beamten des Staates als die Sehnen und Bänder des politischen Körpers bezeichnet. Die Verlässlichkeit des Staates und das Vertrauen in ihn sind also in hohem Maße auch davon abhängig, dass die Staatsdiener bereit sind, sich an das gesetzte Recht zu halten, dass sie fair und neutral sind. Das ist vielfach nicht der Fall. Die Gefahr der Beeinflussung durch diverse Partikularinteressen ist ein großes Problem und gefährdet eben das, was wir Staatlichkeit nennen, in großem Ausmaß.

DIE FURCHE: Sie behandeln in Ihren philosophischen und politischen Forschungen auch das Thema Krieg. Inwiefern ist für Sie der Krieg an den Staat gebunden?

Münkler: Krieg ist eine Form des gewaltsamen Konfliktes, der zunächst mit dem Staat nichts zu tun hat. Der Staat hat sich jedoch im Laufe der Geschichte zum Monopolisten der Kriegsfähigkeit entwickelt. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges hat es mit sich gebracht, dass private Akteure aus dem Kriegsgeschehen ausgestiegen sind und der Staat an deren Stelle getreten ist. Was wir nun beobachten können # und was sich mit dem Zerfall von Staatlichkeit am Rande der Wohlstandszone zentral verbindet # ist, dass in den letzten drei bis vier Jahrzehnten der Prozess der Verteuerung des Krieges gekippt ist. Es sind wieder einzelne Akteure kriegsfähig geworden # und das ohne großen Aufwand und ohne großes Kriegsgerät. Nicht gerade in Europa, aber denken wir an Afrika und die vielen Kindersoldaten. Durch solche Entwicklungen entstand wiederum eine intensivierte Kriegstauglichkeit, die es ermöglicht hat, mit einfachsten Mitteln Krieg zu führen, und es scheint niemand da zu sein, der das verhindert. Der Krieg ist wieder zu etwas geworden, was tendenziell jeder Mensch # wenn er um die 15 Millionen Dollar zur Verfügung hat # machen kann.

DIE FURCHE: Kriege werden also auch in Zukunft Teil der Realität sein?

Münkler: Die Monopolisierung des Krieges durch den Staat war mit der Hoffnung verbunden, dass Kriege der Geschichte angehören könnten. Davon können wir nun nicht mehr ausgehen, im Gegenteil. Was wir beobachten können, ist, dass militärische Gewalt wieder eine ökonomisch attraktive Kompetenz geworden ist # Warlords, international organisierte Kriminalität, Kriegsökonomie etc. Die #neuen Kriege# forcieren nicht nur den Staatszerfall in Regionen, wo sich Staatlichkeit erst rudimentär ausgebildet hat, sondern begünstigen zugleich auch einen Einflussgewinn imperialer Akteure, die auch in Gebieten zerfallender Staatlichkeit militärisch handlungsfähig sind. So wird der Krieg am Leben erhalten.

DIE FURCHE: Wie zukunftsträchtig ist Ihrer Meinung nach das Modell #Staat#? Ist die Zeit des Endes der Staatlichkeit gekommen?

Münkler: In Europa sicher nicht. Es ist keiner in Sicht, der vor allem im sozialen Feld an die Stelle des Staates treten kann. Am Rande der Wohlstandszone wird es aber zu einer Revitalisierung von imperialen Strukturen kommen. Insofern wird es zu einer eigentümlichen Koexistenz von unterschiedlichen Strukturen kommen. Das lässt sich heute bereits abzeichnen. Konkurrenz zwischen diesen Modellen ist vorprogrammiert.

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