Scham - © Foto: iStock/Ljupco (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Tanz und Psyche: „Wir haben eine Kultur der Scham“

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Die Pandemie hat unseren Bewegungsspielraum auf ein Minimum reduziert. Welche Folgen das hat, wie wertvoll insbesondere das Tanzen ist und wie die sozialen Medien es normiert haben, erklärt die Bewegungstherapeutin Veronika Zak im Interview.

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Die Pandemie hat unseren Bewegungsspielraum auf ein Minimum reduziert. Welche Folgen das hat, wie wertvoll insbesondere das Tanzen ist und wie die sozialen Medien es normiert haben, erklärt die Bewegungstherapeutin Veronika Zak im Interview.

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Unsere Bewegungen gehen mit der Zeit. Geschlechterrollen, traditionelle Rückfälle und der Fokus auf Bilder in sozialen Netzwerken beeinflussen die Art, wie wir unseren Körper wahrnehmen. Doch er ist ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Mittel, um uns Kraft und Identität zu geben. Die Bewegungstherapeutin Veronika Zak über Bilderflut, Körperscham und leichteres Altern durch Bewegung.

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DIE FURCHE: Das „Impulstanz“- Festival steht vor der Tür: Jedes Jahr wird hier der Tanz in all seinen modernen Ausdrucksformen gefeiert. Hat Tanz genug Platz in unserer Gesellschaft?

Veronika Zak: Österreich hat keine Tanzkultur. Tanzen ist hierzulande stark gebunden an das Thema Alkohol und damit an den Leitsatz: Wenn ich Alkohol getrunken habe, dann darf ich mich bewegen. Das ist in Wahrheit aber eher ein Wegtreten und hat nichts mit Sich-Verkörpern zu tun. Wir haben in Österreich, was den Tanz betrifft, eine Kultur der Scham. Wer sich bewegt, fragt sich: Mache ich das richtig? Hinzu kommen die Normierung und das Nachtanzen von Videoclips in sozialen Medien wie Tiktok. Anstatt sich mit der Musik zu verbinden und Bewegungen zuzulassen, wie das beispielsweise beim Ausdruckstanz in den 1980er und 1990er Jahren der Fall war, werden Schrittabfolgen akribisch nachgetanzt. Alles andere wird schnell als peinlich gewertet.

Zak1 - © Foto: Privat

Veronika Zak

ist Therapeutin für Konzentrative Bewegungstherapie, einer körperzentrierten Form der Psychotherapie.

ist Therapeutin für Konzentrative Bewegungstherapie, einer körperzentrierten Form der Psychotherapie.

DIE FURCHE: Was steckt hinter dieser Tanzscham?

Zak: Ein wesentlicher Faktor ist die Bilderflut in den sozialen Medien, die uns ganz klare Normierungen vorgibt. Da geht es vor allem um das Äußere, aber nicht darum, in sich hineinzuspüren. Bewegung und Tanz sind dadurch sehr visuell geprägt. Was man sagen muss, ist, dass die Tanzscham, die auch mit der Körperscham verbunden ist, auf jeden Fall ein Backlash ist. Wir sind so unfassbar prüde und waren schon mal viel weiter. Vor zwanzig Jahren war es kein Thema, dass eine Frau im Schwimmbad oben ohne ist. Gleichzeitig haben wir derzeit einen Diversitätsdiskurs. Hier würde ich aber auf Michel Foucault verweisen: Es gibt den Mechanismus, dass die Diskursivierung wieder neue Regeln und Strukturen schafft.

DIE FURCHE: Hat diese Retraditionalisierung auch einen Einfluss auf die Art, wie wir uns bewegen?

Zak: Die Retraditionalisierung führt definitiv zu einer Geschlechterzuordnung. Meiner Erfahrung nach hat die Frauenbewegung dazu geführt, dass es vielschichtigere Frauenbilder gibt, Männer und Burschen haben es dahingehend wirklich sehr schwer. Sichtbar wird das an den wieder ansteigenden Homophobiedelikten in den letzten Jahren. Ein Backlash eben.

DIE FURCHE: Zwei Jahre lang haben wir Abstand gehalten und Masken getragen und einander gar nicht gerochen. Hat die Corona-Pandemie auch verstärkt zu einer Art Körperscham geführt?

Zak: Wir resonieren immer mit dem anderen Körper. Wenn man sich aber gegenseitig nicht riechen kann und sich nicht sieht, macht das eine Unsicherheit zwischen den Menschen, da wir nicht permanent gespiegelt werden. Dann entsteht auch eine Unsicherheit in jedem Einzelnen.

DIE FURCHE: Das bedeutet also, der Körper bewegt sich permanent auf unsicherem Terrain?

Zak: Genau. Auch die zweidimensionalen Bilder, die in digitalen Sitzungssituationen entstehen, entkörpern uns stark. Mein wichtigstes Anliegen während der Lockdowns war es – trotz Bildschirmkommunikation –, den Körper in den Vordergrund zu stellen und die Körperwahrnehmung zu stärken. Zusätzlich verwirrend bei der Videokommunikation ist, dass man nicht nur die Gesprächspartner sieht, sondern auch immer sich selbst. Da geht es ganz stark um visuelle Kontrolle. Aber wenn ich mit Freunden an einem Tisch sitze, dann sehe ich mich selbst auch nicht ständig. Da geht man dann viel schneller ins innere Spüren hinein.

DIE FURCHE: Ist auch der Sport von diesem visuellen Diktat eingenommen? Muss also auch die Anstrengung in der heutigen Zeit ansehnlich sein?

Zak: Natürlich ist es besser, wenn ich Sport mache, in jeder Hinsicht. Was ich aber schwierig finde, ist diese Kontrollabgabe an die Geräte, die mir sagen, wie es mir geht. Die Geräte messen meinen Puls, zählen meine Schritte und vieles mehr. Aber wenn ich laufe, merke ich selbst, wann mein Herz zu schnell schlägt oder welches Tempo für mich gut ist. Zu lernen, sich beim Laufen zu spüren, bringt einem eine ganz andere Selbstkontrolle, als den Körper an ein Gerät zu koppeln. Da wären wir nämlich wieder bei den Normen und Regeln, und da beginnt der Leidensdruck.

Wenn wir uns nicht bewegen, spüren wir nichts, denn der Körper gibt keine Rückmeldung. Das führt dazu, dass wir wegdriften, uns auflösen, bis hin zum Identitätsverlust.

DIE FURCHE: Sie arbeiten mit Konzentrativer Bewegungstherapie. Wo kann diese im Alltag helfen?

Zak: Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) gehört zur Psychotherapie, nur die Methode ist körperorientiert. Zu mir kommen Menschen mit Angststörungen, Essstörungen, Depressionen oder Schmerzsymptomen. In der Arbeit, die ich mache, geht es dann darum, diese Themen im Körper wahrnehmbar zu machen. Wenn jemand kommt und sagt, es zieht ihm den Boden unter den Füßen weg, dann stellt sich die Frage: Wie stehe ich auf dem Boden? Es geht darum, tatsächlich diesen Boden real spürbar zu machen und zuzusehen, wie man wieder Boden gewinnen kann. Es geht also um das Erleben, um das Entwickeln von neuen Handlungsmöglichkeiten. Das Zentrale dabei ist das Benennen und Verbinden der Lebenssituation mit dem eigenen Körper. Da passiert viel, da kommt viel in Bewegung.

DIE FURCHE: Die Corona-Pandemie, das Gefühl, eingesperrt zu sein, hat bei vielen regelrechten Bewegungshunger ausgelöst. Wie kann Bewegung in Krisen helfen?

Zak: Bewegung gibt uns einen Input über unsere Körpergrenzen, unsere Kraft, über Anstrengung und vieles mehr. Wenn wir uns nicht bewegen, spüren wir nichts, denn der Körper gibt keine Rückmeldung. Das führt dazu, dass wir wegdriften, uns auflösen, bis hin zum Identitätsverlust. Denn Identität entsteht, wenn wir unsere Grenzen zur Umwelt spüren. Sich nicht zu bewegen kann also für unsere Identität und unser Selbstwertgefühl schädlich sein und zu massiveren Problemen führen, was derzeit an den steigenden Zahlen im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich sichtbar wird. Umgekehrt stehen Kinder und Jugendliche, die sich bewegen, viel mehr im Leben und haben ein realistischeres Körperbild. Und da sind meistens die Eltern ein Vorbild. Eltern, die Kindern eine Vielfalt an Möglichkeiten bieten, sich durch das Leben zu bewegen, geben ihren Kindern viel mehr mit, als jene, die den ganzen Tag zu Hause sitzen und aufs Handy starren. Und diese Entwicklung hat sich mit den Lockdowns natürlich massiv verschärft.

DIE FURCHE: In Bewegung sein bedeutet auch Veränderung. Hilft uns Bewegung beim Altern?

Zak: Wenn ich mich nicht bewege, spüre ich gar nicht, dass gewisse Dinge langsamer oder gar nicht mehr gehen. Und das ist natürlich schmerzhaft. Nur: Wenn ich es zu lange ignoriere, dann wird es erst recht schmerzhaft. Veränderung kann man gestalten. Es gehört aber auch dazu, zu lernen, dass man nicht alles unter Kontrolle hat und nicht alles an sich schön und perfekt finden muss. Ich kann meinen Körper trotzdem aushalten und genießen. Die Veränderungsprozesse bewusst mit allen Sinnen und in Bewegung zu begleiten ermöglicht es, das Altern besser zu akzeptieren.

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