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Dickens in alten Kleidern

Der mittellose Waisenjunge Pip bekommt dank eines anonymen Wohltäters die Chance auf den gesellschaftlichen Aufstieg im London der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: "Große Erwartungen“, einer der bekanntesten Romane von Charles Dickens, wurde bereits mehrfach verfilmt. Die aktuelle Neuverfilmung durch Regisseur Mike Newell ist eine ziemlich werkgetreue Adaption jenes Klassikers der Weltliteratur. Und darin liegt auch eine der Schwächen des Filmes: Bei freierem Umgang mit der Vorlage hätte man getrost auf einige der in der Vergangenheit liegenden Handlungsteile verzichten und sich mehr auf die Gegenwart konzentrieren können.

Denn Zeitgeist und Lebensumstände der Epoche werden gekonnt in Szene gesetzt: der brutale zwischenmenschliche Umgang, die Klassenunterschiede und der allgegenwärtige Schmutz. Großen Eindruck hinterlässt Helena Bonham Carter als exzentrische Schlossherrin, auch Ralph Fiennes glänzt als entlaufener Sträfling. Sehr sympathisch auch Hauptdarsteller Jeremy Irvine - vielleicht zu sympathisch für den Snob, zu dem sich seine Figur zeitweise entwickelt. (Michael Kraßnitzer)

Große Erwartungen (Great Expectations)

GB 2012. Regie: Mike Newell. Mit Jeremy Irvine, Ralph Fiennes, Helena Bonham Carter, Holliday Grainger, Robbie Coltrane.

Constantin. 111 Min.

Dieses Debüt an Traurigkeit

Traurig - das ist gar kein Ausdruck für "Parked - Gestrandet“, das Spielfilmdebüt des irischen Regisseurs Darragh Byrne. Dahinter verbirgt sich eine bezaubernde und einfühlsame Geschichte um Tod und Überleben in der sozialen Kälte auf der Grünen Insel: Fred Daley, Ende 50 und arbeitslos, lebt in seinem Auto auf einem Parkplatz an Dublins Küste. Sonst hat er kein Dach über dem Kopf und bekommt auch keine Sozialhilfe. Auf dieselbe Weise (über-)lebt der junge Cathal (21) lebensfroh, aber drogenabhängig. Zwischen Fred und Cathal entwickelt sich eine spröde wie warmherzige Freundschaft, und auch zum anderen Geschlecht, in Form der einsamen finnischen Musiklehrerin Jules (Milka Ahlroth), knüpft Fred zarte Bande. Doch das Leben ist hart, am Schluss wird nur einer zurückbleiben, aber um ein paar Erfahrungen und Freundschaften reicher sein. Außergewöhnlich sowie vom grandiosen Schauspiel von Colm Meaney und Teenie-Star Colin Morgan (aus der TV-Serie "Merlin“) getragen. (Otto Friedrich)

Parked - Gestrandet

IRL/FIN 2011. Regie: Darragh Byrne. Mit Colm Meaney, Colin Morgan,

Milka Ahlroth. Waystone. 95 Min.

Vom Leben gezeichnete Körper und Seelen

Ein Gelegenheitsarbeiter, der sich als Kickboxer durchs Leben schlägt und eine Killerwal-Trainerin, der nach einem Arbeitsunfall beide Beine amputiert werden. Auf den ersten Blick haben Ali und Stéphanie nicht viel gemeinsam - außer vom Leben gezeichnete Körper und Seelen. Schmerzen und Rückschläge sind weder dem pragmatischen Hinterhof-Kämpfer noch der depressiven Rollstuhlfahrerin fremd. Doch statt aufzugeben, schöpfen die beiden Außenseiter gerade aus den Extremen ihrer Existenz die Kraft für eine außergewöhnliche Liebesbeziehung.

Zu Recht bezeichnet Regisseur Jacques Audiard sein Arthouse-Drama "Der Geschmack von Rost und Knochen“ als "unpitchbar“: Worte reichen nicht aus, um seiner facettenreichen Charakterstudie gerecht zu werden. Was sich aber sagen lässt, ist, dass der Filmemacher ein gelungenes Porträt zweier vom Leben schwer gezeichneter Menschen entwirft und in berührende Bilder gießt. Dies gilt sowohl für die kraftvoll-archaischen Szenen, in denen der von Matthias Schoenaerts überzeugend verkörperte Protagonist wie von Sinnen auf seine Kampfsport-Kontrahenten einprügelt als auch die sensiblen Momente des Films. Einer der bewegendsten ist mit Sicherheit, wie der muskelbepackte Hüne die zerbrechlich wirkende Stéphanie ins Meer trägt, damit sie zum ersten Mal nach ihrem Unfall wieder das salzige Nass auf ihrer Haut spüren kann.

Basierend auf Craig Davidsons Kurzgeschichten "Rust and Bone“ wirft Audiard einen expressionistischen Blick auf eine Welt, die sich über das Körperliche definiert und um innere Werte rotiert. Ein Konzept, das er wie seine Antihelden kompromisslos in Szene setzt und zu einem mitreißenden Melodram verdichtet. (Jürgen Belko)

Der Geschmack von Rost und Knochen (De rouille et d’os)

F/B 2012. Regie: Jacques Audiard.

Mit Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts. Polyfilm. 120 Min.

Unsichere und gescheiterte junge Erwachsene

Kajal, Lederjacke, Coolness: Die Rockstarpose hat Endzwanziger Tommy (Thiemo Strutzenberger, Schauspielhaus Wien) intus - aber eben auch nur die Pose: Zieht man die angelegten Layers ab, bleiben Stagnation, Unzufriedenheit, Unsicherheit. So ist auch die Teilnahme beim Bandwettbewerb mit drängender Note versehen: Sie ist die letzte Chance. Störend nur, dass man sich schlecht auf die Bühne konzentrieren kann, wo nicht nur bandintern alles aus dem Ruder läuft.

Jungregisseur Henning Backhaus beschäftigt sich in "Local Heroes“ mit dem Scheitern an der Vertikalspannung. Er porträtiert die Überforderung junger Erwachsener an zu vielen Möglichkeiten, an eigenen Hoffnungen, die der Reihe nach zerplatzen - seien sie noch so bescheiden: Tommys Love Interest Almut wäre schon froh, würde sie einmal ein Assessment Center heil überstehen. Backhaus porträtiert manchmal etwas marionettenhaft Strauchelnde, die den gesellschaftlichen Anforderungen nicht zu entsprechen glauben: die Generation "Wir müssen draußen bleiben.“ (Nicole Albiez)

Local Heroes

A 2012. Regie: Henning Backhaus.

Mit Thiemo Strutzenberger, Laura Louisa Garde, Michael Kranz, Simon Schwarz. Thimfilm. 95 Min.

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