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Was sich aus dem "Karikaturenstreit" lernen lässt.

Für Wolfgang Schüssel war es eine gute Gelegenheit, einmal mehr die etwas hohle Phrase vom "europäischen Lebensmodell" zu bemühen. Und weil wir Präsident sind, ist das "europäische" letztlich eine Entfaltung des "österreichischen Lebensmodells": Anlässlich des von ihm einberufenen Treffens von Spitzenrepräsentanten der Religionsgemeinschaften sprach der Bundeskanzler vom heimischen "Exportartikel der guten Gesprächskultur"; dies sei "das österreichische Lebensmodell, von dem wir hoffen, dass es einmal das europäische Lebensmodell wird".

Um nicht missverstanden zu werden: Alles spricht dafür, Christen verschiedener Konfessionen, Juden, Muslime an einen gemeinsamen Tisch zu bringen - und auf höchstrangiger Ebene kann und soll so etwas natürlich auch im Kanzleramt stattfinden. Aber man mag doch so seine Zweifel haben, ob all die - auch in dieser Runde artikulierten - Appelle zu Mäßigung, Toleranz und Verantwortung jener gigantischen kulturellen Herausforderung hinreichend gerecht werden, die uns angesichts der verharmlosend "Karikaturenstreit" genannten Eskalationen schmerzhaft ins Bewusstsein gefahren ist. Und man möchte noch hinzufügen, dass man als gelernter Österreicher beim Begriff "Exportartikel" schon grundsätzlich skeptisch wird: Vieles, was wir für einen solchen halten, wird leider international nicht in dem Ausmaß goutiert, wie wir das gerne hätten: von der Neutralität über den "Feinkostladen" bis zur Sozialpartnerschaft, die ja auch unter "gute Gesprächskultur" zu rubrizieren ist. Noch einmal gegen mögliche Missverständnisse: In all diesen Dingen steckt zumindest ein begrüßenswerter Ansatz. Problematisch ist daran die latent provinzielle, den globalen Kontext negierende Perspektive, mit welcher ein habituelles Schwanken zwischen Selbstüberschätzung und Unterlegenheitsgefühl einhergeht.

Aber hier geht es nicht um Österreich. Hier geht es für die europäischen Gesellschaften insgesamt darum, nachdem sich der Staub des Bildersturms gelegt hat, einiges vielleicht ein wenig klarer als zuvor zu sehen. Dabei könnte helfen, sich bewusst zu machen, was hier eigentlich miteinander verglichen, oder eher gegeneinander ausgespielt wurde: beispielsweise - und vor allem - der Prophet Mohammed gegen die Schoa. Damit ist nicht nur der von einer iranischen Zeitung initiierte einschlägige Cartoon-Wettbewerb zum Thema "Holocaust" gemeint, sondern auch die unter westlichen Eliten geäußerte Ansicht, wer die Mohammed-Karikaturen verteidige, dürfe auch beim Massenmord an den Juden nicht zimperlich sein. Ob solcher Verkennung der Singularität der Schoa muss es einem die Sprache verschlagen: Es gab in der Geschichte Verfolgung, Unterdrückung, Gewalt gegenüber Muslimen - aber keinen der ns-Massenvernichtung der Juden vergleichbaren, rein rassistisch motivierten Genozid. Dazu kommt, dass die Schoa zwar auch jüdischerseits theologisch-religiös gedeutet werden kann, aber selbst kein religiöses Moment darstellt. Die "angemessene" Antwort auf Mohammed-Cartoons wären allenfalls Moses-Karikaturen - deren politische Sprengkraft sich freilich in Grenzen hielte.

Auf christlicher Seite wurde gelegentlich an Gerhard Haderers Jesus-Zeichnungen ("rauchender Hippie") verwiesen. Sie sind nur ein Beispiel der jüngeren Zeit aus einer langen Reihe skandalisierter Tabubrüche christliche Glaubensinhalte betreffend. Ungeachtet aller nach wie vor bestehender Parteiungen hat sich hier aber ein auch von den meisten europäischen Christen mitgetragener Konsens herausgebildet, der einen differerenzierten, auch selbstkritischen, ja-ironischen Umgang mit Provokation zulässt. Das hat mit der dem real existierenden Christentum von außen aufgezwungenen Läuterung durch die Aufklärung zu tun; es liegt aber auch in einer Religion selbst begründet, die im Kern ein kritisches Potenzial gegenüber jedweder angemaßten, auch religiösen Autorität besitzt und als Maßstab für Wahrheitsansprüche nur gelten lässt, ob es dem Menschen zum Menschsein, zu einem "Leben in Fülle" taugt. Darüber sollen, müssen die Christen untereinander, aber auch mit Vertretern aller anderen Religionen ohne Arroganz doch unmissverständlich reden.

rudolf.mitloehner@furche.at

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